12.11.2025
N°2 2025

Literaturtipps

Jagen, sammeln, sesshaft werden

In einem radikalen Selbstexperiment versuchte der britische Forscher Charles Foster am eigenen Leib nachzuvollziehen, wie der Mensch resp. der Homo sapiens in der jüngeren Steinzeit vor rund 40'000 Jahren lebte, das heisst in einer Zeit, in der sich gemäss wissenschaftlichen Annahmen die «kulturelle Modernität» zu entwickeln begann – mit Begräbnisriten, Malerei und Musik. Dazu lebte Foster in Wäldern, kämpfte hungernd und frierend mit den frühen Dämonen der Zivilisation, besuchte Biobauern und Schlachtfabriken und erlebte allerlei Bewusstseinszustände. Als Medizinethiker und Tierarzt mit fundiertem Sachwissen ausgestattet, schreibt Foster nicht nur über das eigene Experiment, sondern verknüpft seine radikale Erfahrung auch mit wissenschaftlichem Wissen über Menschen und Tiere.

Der Forscher, der in anderen, genauso radikalen Selbstexperimenten schon versuchte, als Tier zu leben, ist überzeugt, dass der Mensch über viele Arten von Sinneswahrnehmungen verfüge, die er für gewöhnlich nicht nutzt. Ganz im Gegensatz etwa zu den Steinzeitmenschen, die, so Fosters mit anthropologischen und ethnologischen Studien unterfütterte Überzeugung, ihre Sinne besser nutzten und Erfahrungen machten, für die uns heute die Offenheit fehlt, bspw. weil wir ein viel zu enges Verständnis vom Leben der Tiere haben.

Charles Foster (2022): Jagen, sammeln, sesshaft werden: Meine Abenteuer in 40.000 Jahren Menschheitsgeschichte. Malik.

 

10 Lessons of my Life. Was wirklich zählt.

Der Musiker und Dirigent Kent Nagano blickt in diesem Buch auf Lektionen zurück, die er, ungeplant und unerwartet, in seinem Arbeitsleben gelernt hat. Das Buch handelt von Begegnungen, die das Leben und Denken des internationalen Dirigenten weit über seine künstlerische Laufbahn hinaus geprägt haben. So hat er bspw. von Leonard Bernstein gelernt, dass es in der Musik – und darüber hinaus – keine endgültigen Antworten gibt. Frank Zappa brachte Nagano bei, dass wahre Künstler nicht taktieren. Von Björk lernte er, den Zufall ernst zu nehmen. Zu den Lektionen, die Nagano im Verlauf seiner Entwicklung als Dirigent lernte, gehörten ausserdem Dinge wie Demut, Integrität oder die Kunst des Aufgebens. Rückblickend ist Nagano überzeugt, aus den Begegnungen Dinge gelernt zu haben, die sich nicht aus Büchern und Partituren, sondern nur von Menschen lernen lassen.

Zu den unterhaltsam erzählten Erinnerungen gehören auch Erfahrungen des Scheiterns sowie bittere Lektionen. So jene, gleich beim ersten Job als Dirigent wegen einer Nachlässigkeit vor die Tür gesetzt zu werden. Auch daraus wurde letztlich eine «Lektion»: Nie wieder habe er denselben Fehler gemacht. Und er habe begriffen: «Wir müssen herausgefordert werden, konfrontiert mit dem Unmöglichen, provoziert, es damit aufzunehmen.»

Kent Nagano (2021): 10 Lessons of my Life. Was wirklich zählt. Berlin Verlag.

 

Steckt den Sand nicht in den Kopf

Warum man den Kopf nicht in den Sand stecken sollte, versteht sich – gerade in so instabilen Zeiten wie den heutigen – irgendwie von selbst. Aber warum man sich den Sand nicht in den Kopf stecken sollte? Was der Autor hier im Sinn hat, ist eine Aufforderung, den Sand, der einem in die Augen gestreut wird, nicht für die Wahrheit zu halten.

Der österreichische Autor, dessen Buch mit seinen Essays, Reflexionen und Gedichten in keine Genreschublade passt, nennt sich nicht Philosoph, sondern «Literat mit philosophischen Interessen». In seinen Zeitdiagnosen befasst er sich kritisch und anregend mit den grossen, kaum lösbaren Fragen der aktuellen Krisen und Kriege genauso wie mit den trivialen Dingen des Alltags, etwa dem Badeschwamm am Stiel. Was den Autor selbst zu dem Schluss veranlasst: «In diesem Buch, das auf Sand gebaut ist, herrscht ein Durcheinander. Die Werbung würde sagen, im Durcheinander steckt ein Zusammenhang, eine Zusammengehörigkeit. Nein, es ist Ausdruck eines zerrissenen Bewusstseins.» Und damit wiederum höchst aktuell.

Franz Schuh (2025): Steckt den Sand nicht in den Kopf. Zsolnay.

 

 

 

 

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