22.05.2025
N°1 2025

Effektivität von Weiterbildungen verbessern: Neue Ansätze des Lerntransfers

Der Transfer von Gelerntem in den Arbeitskontext ist ein zentrales Element, um sicherzustellen, dass eine Organisation von ihren Investitionen in die Weiterbildung profitiert. Während die positiven Effekte von Weiterbildungen auf die organisationale Leistung anerkannt sind, bleibt die Korrelation zwischen dem in der Weiterbildung Gelernten und der Verbesserung der individuellen Arbeitsleistung bescheiden. Dieses Paradoxon macht deutlich, dass wir unsere Methoden zur Definition, Optimierung und Bewertung des Lerntransfers überdenken sollten. Auf der Grundlage der neueren wissenschaftlichen Literatur wurden Überlegungen in vier Richtungen ausgemacht, die den Übergang von einem anwendungsorientierten und deterministischen Transferverständnis mit dem Fokus auf die Organisationsziele zu einem adaptiven und konstruktivistischen Ansatz markieren, bei dem die Person zum Motor des Prozesses wird.

Studien im Bereich des strategischen Personalmanagements zeigen, dass Organisationen, die mehr in die Weiterbildung und Entwicklung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter investieren, d.h. in Praktiken, die ihr Humankapital stärken, auch die besten Leistungsindikatoren aufweisen. Aus der Metaanalyse der verfügbaren wissenschaftlichen Arbeiten geht hervor, dass die Korrelation zwischen den Weiterbildungsanstrengungen und den Indikatoren der Organisationsleistung, auch Organisational Performance genannt, im Durchschnitt zwischen 0,20 und 0,25 liegt (Tharenou et al., 2007; Garavan et al., 2021). Demzufolge ermöglichen Investitionen in die Weiterbildung die Entwicklung von Kompetenzen, die eine höhere Wertschöpfung und einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil generieren.

Um diesen «Return on Education Investment» zu gewährleisten, wurde sowohl in der Forschung als auch in der Praxis der Fokus auf das Thema Lerntransfer gerichtet. Seit den Arbeiten von Kirckpatrick (1959) ist allgemein anerkannt, dass die Wirkung einer Weiterbildungsmassnahme nicht nur in Bezug auf die Zufriedenheit der teilnehmenden Personen und die erworbenen Kompetenzen zu verstehen ist, sondern auch an den bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz beobachteten Verhaltensänderungen und umgesetzten Kompetenzen gemessen werden muss. Der Lerntransfer gilt als unerlässlich, um die Wirksamkeit der Weiterbildung auf die angestrebten Leistungsindikatoren der Organisation zu gewährleisten und das Kosten-Nutzen-Verhältnis zu optimieren.

Daher befassen sich immer mehr Forschungsarbeiten mit der Ermittlung der Faktoren in Zusammenhang mit dem Profil der Lernenden, dem Instruktionsdesign der Weiterbildung und dem organisationalen Kontext, durch die die Mobilisierung des Gelernten im Arbeitskontext erleichtert wird (vgl. Metaanalyse von Blume et al., 2010). Dadurch konnten innovative Ansätze und Instrumente zur Bewertung von Weiterbildungen entwickelt werden, die den Fokus nicht nur auf den Effekt, sondern auch auf die Prädiktoren in Zusammenhang mit dem Lerntransfer richten. Als Beispiel sei hier das Beurteilungsschema 2.0 von Lauzier et al. (2016) genannt, bei dem fünf Variablen untersucht werden, die als die wesentlichsten Prädiktoren für den Lerntransfer bekannt sind. Das umfassendste und erfolgreichste Instrument in dieser Hinsicht ist das Learning Transfer System Inventory (Bates et al., 2012). Darin werden 16 als Katalysatoren oder Hindernisse für den Lerntransfer geltende Faktoren aufgeführt. Das Ergebnis dieser Arbeiten floss auch in konkrete Interventionsstrategien ein, mit dem Ziel, die Lern- und Transferbedingungen zu optimieren, z.B. indem das Selbstwirksamkeitsgefühl der Lernenden gestärkt wird: Die Lernenden werden bei der Entwicklung von Strategien zur Überwindung von Transferhindernissen bestärkt, Fehler werden als Lernquellen genutzt oder Vorgesetzte in ihrer Rolle als Transferbegleitende unterstützt.

Doch trotz des zunehmenden theoretischen und praktischen Wissens bleibt die Übertragung des Gelernten auf den Arbeitsplatz ein wiederkehrendes Problem. Anhand der Metaanalyse der zu diesem Thema durchgeführten Forschung wird davon ausgegangen, dass die Korrelation zwischen dem am Ende der Weiterbildung beurteilten Lernerfolg und dem einige Wochen nach der Weiterbildung gemessenen Lerntransfer zwischen 0,11 und 0,24 schwankt (Alliger et al., 1997; Blume et al., 2010). Mit anderen Worten: Nur ein kleiner Teil dessen, was in der Weiterbildung gelernt wird, findet tatsächlich im Arbeitsverhalten Niederschlag und trägt zur Verbesserung der Arbeitsleistung bei. Der Spruch, wonach nur 10 % dessen, was in der Weiterbildung gelernt wird, auch tatsächlich am Arbeitsplatz umgesetzt wird, scheint also gar nicht so realitätsfern zu sein. Überraschenderweise sind diese Korrelationen geringer als jene, welche in den oben genannten Studien zum strategischen Personalmanagement ermittelt wurden. Diesen Daten zufolge wären die Weiterbildungseffekte also eher auf organisationaler als auf individueller Ebene spürbar.

Dieses «Weiterbildungsparadoxon», wie Ford et al. (2018) es genannt haben, zwingt uns, die bisherige Auffassung und Bewertung des Lerntransfers nach der Weiterbildung und die Bandbreite der Erklärungsfaktoren zu überdenken. Die meisten Arbeiten zum Transfer stützen sich nämlich auf eine im Wesentlichen anwendungsbezogene Sichtweise und definieren Transfer als die effektive (Generalisierung) und kontinuierliche (Aufrechterhaltung) Nutzung der in der Weiterbildung entwickelten Kompetenzen durch die Lernenden bei ihrer Rückkehr an den Arbeitsplatz (Blume et al., 2019; Ford et al., 2018; Schoeb et al., 2021). Neue Trends in der wissenschaftlichen Literatur könnten jedoch unsere Vorstellungen vom Lerntransferprozess und den Weiterbildungseffekten von Grund auf verändern. Die Überlegungen dazu gehen in vier Richtungen, die wir in diesem Artikel zusammenfassen: 1. Erweiterung der Transferindikatoren: Die Weiterbildung zielt auf ein breiteres Spektrum an Kompetenzen und Effekten ab als nur auf den Erwerb und die Reproduktion spezifischer Fähigkeiten und Verhaltensweisen; 2. Aufhebung der Grenzen zwischen Lernen und Transfer: Lernen und Lerntransfer sind zwei untrennbare Prozesse, die in einer dynamischen Beziehung zueinander stehen; 3. Individuelle Lernwege und Transferpfade: Die Vorteile und Effekte einer Weiterbildung sind von Person zu Person unterschiedlich und hängen von den jeweiligen Zielen und Bedürfnissen ab; 4. Der Transfer erfolgt in einer Beziehung zur Organisation: Die Weiterbildung ist Teil der Arbeitsbeziehung zwischen Arbeitgeber und beschäftigter Person und kann zu deren Festigung beitragen.

Insgesamt markieren diese neueren Betrachtungen den Übergang von einem deterministischen Verständnis, bei dem die Ziele der Organisation und die Faktoren zur Optimierung der Effektivität der Weiterbildung im Vordergrund stehen, zu einem Ansatz, bei dem die Person als Motor des Transferprozesses betrachtet wird. Dabei wird der Transfer als adaptiver Prozess gesehen, der «eine Reihe von Entscheidungen beinhaltet, die Praktikantinnen und Praktikanten treffen, um die erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten in ihrem beruflichen Kontext zu verwerfen, zu erhalten, anzuwenden oder anzupassen» (Baldwin et al., 2017, S.24). Auf die praktischen Aspekte dieser Betrachtungsweise in Bezug auf die Bewertung von Weiterbildungen wird ebenfalls eingegangen.

1 – Erweiterung der Transferindikatoren

Beim anwendungsorientierten Transferverständnis leiten sich die Kriterien, die zur Messung des Transfers herangezogen werden, aus den mit der Weiterbildung angestrebten Kompetenzerwerbszielen1 ab, die von Auftraggeberseite und durch das Weiterbildungskonzept festgelegt wurden. Die Messung des Transfers ist umso einfacher, je relativ zielgerichteter diese Kompetenzen sind, d.h. je mehr sie auf vordefinierte und spezifische Verhaltensroutinen ausgelegt sind, die die Lernenden im Zuge der Weiterbildung erwerben und in der Arbeitssituation reproduzieren sollen (Blume et al., 2010). Es scheint, dass die wirksamsten Weiterbildungen also auf operative Lernziele ausgerichtet sind, die direkt für die Durchführung der Aktivitäten der Organisation nützlich sind und einen Transfer auf Arbeitssituationen ermöglichen, die der Weiterbildungssituation nahe sind (ein solcher Transfer wird auch als proximal bezeichnet). Angesichts solcher Effizienzkriterien ist die Versuchung gross, nicht mehr in Weiterbildungen zu investieren, die umfassendere Ziele der Persönlichkeitsentwicklung verfolgen und offenere Räume zum Experimentieren und Lernen bieten.

In einer sich rasch verändernden Arbeitswelt hat die Weiterbildung jedoch auch die Aufgabe, die Beschäftigten auf nicht klar definierte und wenig vorhersehbare Tätigkeiten vorzubereiten und darauf, mit Unwägbarkeiten und neuen, komplexen Situationen umzugehen. Vielfach geht es um die Entwicklung sogenannter Offenheitskompetenzen (z.B. soziale Fertigkeiten, Kreativität), basierend auf einem Grundverständnis und allgemeinen Grundsätzen, die jede Person auf ihre Weise entsprechend ihren spezifischen Bedürfnissen anpassen und umsetzen kann. Zur Benennung dieser Form des eher anpassungsorientierten und weitreichenderen Transferverständnisses wurden Begriffe wie «kreativer Transfer» (Roussel, 2011) oder «adaptive Expertise» (Cheung et al., 2022) vorgeschlagen. Hier wird der Transfer zunächst an der Fähigkeit gemessen, die Lernergebnisse zu mobilisieren, um kreative Lösungen für neuartige, unstrukturierte Probleme zu finden, was die Anpassung an neue und sich verändernde berufliche Situationen erleichtert. Bei diesem Ansatz löst die Weiterbildung einen reflexiven, autonomen beruflichen Entwicklungsprozess aus, der sich auch noch Jahre nach der Weiterbildung fortsetzen kann (Yelon et al. 2013) und dessen Effekte sich in der Entwicklung neuer Kompetenzen niederschlagen, die für jede Person individuell sind und nicht durch die Ausbildungsziele vorgegeben werden.

Bei diesem adaptiven Transferverständnis geht es darum, die bei der Bewertung von Weiterbildungseffekten in einem Arbeitskontext berücksichtigten Kriterien auszuweiten, da diese Offenheitskompetenzen per Definition nicht auf vorab festgelegte und für alle Menschen identische Indikatoren reduziert und damit bewertet werden können (Ford et al., 2018).

2 – Aufhebung der Grenzen zwischen Lernen und Transfer

Beim klassischen Ansatz wird der Transfer als Prozess verstanden, der nach der Weiterbildung stattfindet, wobei letztere als Massnahme betrachtet wird, die in einem eingegrenzten Zeitraum ausserhalb der Arbeitssituation stattfindet (das klassische Seminar oder Praktikum). Zur Bewertung der Weiterbildungseffekte stützen sich die Forschungsarbeiten so weit wie möglich auf Längsschnittstudien, mit dem Ziel, die Auswirkungen der Weiterbildung auf das Arbeitsverhalten zu beurteilen. Dafür wird idealerweise eine Baseline vor der Weiterbildung, eine Messung des Gelernten gleich nach der Weiterbildung und eine Transfermessung einige Wochen nach der Weiterbildung durchgeführt.2

Bildungsfachleute verweisen allerdings schon seit Langem auf die Notwendigkeit, die Weiterbildung enger an die Arbeitsausübung zu koppeln. Dass Lernen in einem formalen Rahmen und von der Arbeit getrennt stattfindet, ist eine einschränkende Sichtweise, zumal es heute gang und gäbe ist, dass Menschen jederzeit und überall lernen können und dass der Grossteil des Lernens ausserhalb des formalen Bildungsrahmens stattfindet (Billett, 2001; Poell, 2017). Infolgedessen und dank der technologischen Möglichkeiten haben sich Weiterbildungen massiv in Richtung hybrider Formate entwickelt, bei denen persönliche Lernzeiten, selbstgesteuertes Distance Learning und erfahrungsbasiertes Lernen am Arbeitsplatz sich abwechseln.

In Anlehnung an diesen Trend entwickelten Blume et al. (2017) ein – allerdings empirisch noch wenig erprobtes – theoretisches Modell, bei dem Lernen und Transfer als zwei Prozesse betrachtet werden, die in einer gemeinsamen Dynamik miteinander verwoben sind. Diese Dynamik besteht im Kern aus iterativen Zyklen, in denen Wissen, Fertigkeiten und Kompetenzen3 erworben und in der Praxis erprobt werden und eingeübte Kompetenzen basierend auf Feedback und den Ergebnissen dieser Versuche korrigiert werden. Transferversuche und ihre Effekte auf die Arbeitsleistung sind nicht nur Folgen des Lernens, sondern beeinflussen auch rückwirkend den Lernprozess, zu dem sie untrennbar gehören.

Zur Erfassung dieser spiralförmigen Lern- und Transfereffekte sind Methoden wie Lerntagebücher, die eine kontinuierliche Selbsteinschätzung durch die Lernenden fördern, oder ein wiederholter Blick auf die Wirkungsindikatoren während des gesamten Lernprozesses besser geeignet, wenn auch komplexer. Damit wird nicht nur den Auftraggebern eine Beurteilung der Weiterbildungseffekte ermöglicht, sondern die Personen in Weiterbildung erhalten für ihren Lernprozess nützliches Feedback.

3 – Individualisierte Lernwege und Transferpfade

Beim deterministischen Transferansatz wurden die Faktoren im Zusammenhang mit der lernenden Person, der Weiterbildungsmassnahme und dem Arbeitsumfeld, die zur Verdeutlichung und Optimierung des Transfers durch geeignete Interventionen beitragen, ausführlich untersucht. Zu den aussagekräftigsten Faktoren bzw. Prädiktoren gehören die motivationalen Variablen, die den Willen der Person, zu lernen und das Gelernte dann auch zu nutzen, erfassen (Chung et al., 2022; Colquitt et al., 2000). Sind beispielsweise die Erfolgserwartung und der subjektive Stellenwert der Weiterbildung bei den Lernenden hoch, sind Lernerfolg und Lerntransfer wahrscheinlicher. Das Gefühl der Selbstwirksamkeit vor und nach der Weiterbildung, d.h. der Glaube an die eigene Fähigkeit, bestimmte Ergebnisse zu erreichen, spielt eine wichtige Rolle für das Lernen und den Transfer.

Einige Autorinnen und Autoren haben dazu aufgerufen, noch weiter zu gehen und mehr auf die Agentivität (das heisst, die Fähigkeit, als Agent aktiv zu handeln) der Lernenden und auf ihre tragende Rolle im Lern- und Transferprozess einzugehen (Baldwin et al., 2017; Poell, 2017). Diese Sichtweise impliziert den Übergang von einem deterministischen zu einem konstruktivistischen Ansatz: Es geht darum, zu verstehen, wie jede lernende Person einen sinnvollen Nutzen aus der absolvierten Weiterbildung zieht und nach diesem interpretativen Prozess die erworbenen Lerninhalte zur Weiterentwicklung und Veränderung ihrer beruflichen Praxis bis zu mehreren Jahren nach der Weiterbildung mobilisiert (Yelon et al., 2013). Die Bezeichnungen «Lernwege» (Poell, 2017) und «Transferpfade» (Huang et al., 2017) dienen zur Beschreibung, wie sich jeder Mensch all seine Erfahrungen formellen und informellen Lernens aneignet und sie in eine kohärente und für ihn sinnvolle Entwicklungsstrategie integriert, und zwar nicht nur, um die Leistungserwartungen des Arbeitgebers zu erfüllen, sondern auch, um seine eigene Beschäftigungsfähigkeit langfristig zu sichern und sich eine nachhaltige Karriere aufzubauen.

Bei dieser Betrachtungsweise liegt der Schwerpunkt auf dem evolutiven und dynamischen Charakter der Motivation, die nicht mehr als statischer Prädiktor für den Transfer betrachtet wird, sondern als eine im Laufe der Lern- und Transfererfahrungen schwankende Variable – wobei diese mehr oder weniger erfolgreichen Erfahrungen wiederum von den proaktiven Strategien der Lernenden geprägt werden (Huang et al., 2017; Poell, 2017). So entstehen im Laufe der Zeit Lernwege und Transferpfade, die von einer Person zur anderen variieren können.

Da der Akt des Transfers in erster Linie der Kontrolle der einzelnen Person unterliegt, die entscheidet, welchen Nutzen sie aus der absolvierten Weiterbildung zieht, ist es von Vorteil, wenn die Bewertung der Weiterbildungseffekte in eine individuelle Begleitung integriert wird, die die Ziele der Person berücksichtigt. Methoden wie qualitative Interviews narrativer Art oder Follow-up- und Co-Development-Gruppen ermöglichen sowohl eine Bewertung der Weiterbildungseffekte als auch die Stärkung der Agentivität der Lernenden und der Entwicklung ihrer beruflichen Praktiken über längere Zeiträume (Yelon et al., 2013).

4 – Der Transfer erfolgt in einer Beziehung zur Organisation

Die vierte Richtung, in die die Überlegungen gehen, bezieht sich schliesslich auf die Kontextualisierung des Transferprozesses im grösseren Rahmen der Beziehung zwischen der lernenden Person und der Organisation, in der sie arbeitet. Unter den Faktoren in Zusammenhang mit dem Organisationsumfeld wurde bereits umfassend dokumentiert, wie sich die Unterstützung durch die Organisation und die unmittelbar vorgesetzte Person auf die Umsetzung des Gelernten am Arbeitsplatz auswirkt. Es wird auch immer deutlicher, dass die Lernmotivation bei Lernenden, die ein hohes Mass an Engagement für ihre Organisation an den Tag legen, erhöht ist (Chung et al., 2022).

In Anlehnung an die Austauschtheorie wurde der Lerntransfer in der Fachliteratur mehrfach als eine Form der Reziprozität in einem Beschäftigungsverhältnis neu interpretiert (vgl. Delobbe, 2022). Die Weiterbildung wird dann als ein Geschenk oder eine Gunst betrachtet, mit der der Arbeitgeber seinen Beschäftigten seine Dankbarkeit ausdrückt, was bei diesen eine moralische Verpflichtung zur Gegenleistung auslöst. Die Unterstützung vonseiten der Organisation, insbesondere durch die unmittelbar vorgesetzte Person, trägt nicht nur zu einem höheren Lerntransfer und zu einer besseren Erfüllung der Aufgaben bei. Sie kann auch als ein Zeichen der Anerkennung verstanden werden und eine motivationale Dynamik auslösen, weil man den Wunsch hat, etwas zurückzugeben, wenn man etwas erhalten hat (Tian et al., 2016). Neben der Anwendung des Gelernten am Arbeitsplatz kann sich dieses gegenseitige Geben und Nehmen auch in Form etlicher Verhaltensweisen im Ermessen der Beschäftigten ausdrücken: Altruismus, zusätzliche Leistungen, Förderung der Organisation, Loyalität, anpassungsfähiges und innovatives Verhalten, was letztendlich zu einer geringeren Personalfluktuation führt. Insbesondere das bereits als Erklärungsfaktor für die Lernmotivation bekannte Engagement der Lernenden für ihre Organisation, kann als ein Nebeneffekt der Weiterbildung betrachtet werden (Chung et al., 2022).

Die Art der Unterstützung durch die Organisation kann daher einen Einfluss auf die Wirkung der Weiterbildung haben. Eine auf vertragliche Verpflichtungen beschränkte Weiterbildungsförderung, die im Wesentlichen materieller Art ist und der Produktivität des Arbeitgebers dient, hat einen geringeren und auf die geforderte Aufgabe beschränkten Transfer zur Folge. Umgekehrt gilt: Wenn die Unterstützung der Weiterbildung ein Zeichen der affektiven Anerkennung, eine Form der uneigennützigen Belohnung ist und der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer Entwicklungsperspektiven eröffnet, erzeugt dies wiederum ein Gefühl der Schuldigkeit, steigert die Transfermotivation und mehr noch die Motivation, sich in der Organisation zu engagieren und zu deren Entwicklung beizutragen (Delobbe, 2022).

So betrachtet, lassen sich die Weiterbildungseffekte nicht nur an der Umsetzung der erworbenen Kompetenzen messen, sondern können sich auch in mehr Engagement und Mobilisierung, innovativen Verhaltensweisen, Loyalität und Altruismus äussern. Somit wirkt sich die Weiterbildung auch auf das reibungslose Funktionieren und die umfassendere Leistung von Organisationen aus.

Fazit: Eine neue Herangehensweise zur Messung und Optimierung von Weiterbildungseffekten

Für Bildungsfachleute bedeuten diese vier Überlegungen eine grundlegende Änderung der Sichtweise, wie in der folgenden Tabelle zusammengefasst. Die lernende Person wandelt sich von der Empfängerin der Weiterbildung, die die vom Arbeitgeber erwarteten Kompetenzen und Verhaltensweisen umzusetzen hat, zur Gestalterin ihrer beruflichen Entwicklung – von persönlichen Zielen geleitet und mit einem Handlungsspielraum bei der Wahl der Aktivitäten und Kompetenzen, die zu deren Umsetzung mobilisiert werden. Dadurch, dass sie auch im Bewertungsprozess als Partner angesehen wird, kann der Nutzen der Weiterbildung maximiert werden. Diese Sichtweise hat handfeste Auswirkungen auf die Bewertung der Weiterbildung.

Es ist zunächst wichtig, das Spektrum der zu bewertenden Lerneffekte zu erweitern, um die zu enge Auffassung des Lerntransfers zu überwinden. Der organisationale Nutzen der Weiterbildung lässt sich nicht nur durch die Umsetzung der KSAs (Knowledges, Skills, and Abilities) erklären, die durch die vordefinierten Ziele der Weiterbildung angestrebt werden. Da die Weiterbildung einen Raum für Veränderung und Erkundung eröffnet, kann sich das Gelernte in einer Vielzahl von Handlungs- oder Verständnisschemata niederschlagen und in eine Dynamik der beruflichen Entwicklung einfliessen, die für jede Person individuell ist und je nach Kontext und Karriereweg variiert. Die Weiterbildung kann sich auch anders als rein durch Lerneffekte auswirken und dazu beitragen, das Engagement der Beschäftigten und den Aufbau eines dauerhaften und für beide Seiten vorteilhaften Beschäftigungsverhältnisses auf breiterer Basis zu festigen.

Was schliesslich die zeitliche Dimension betrifft, so wird in diesem Artikel gefordert, die Bewertung als wiederkehrenden und vollwertigen Bestandteil der Lern- und Transferdynamik zu integrieren, dessen Effekte sich über einen längeren Zeitraum entfalten und entwickeln können. Bewertungspraktiken, die ein Vorher und ein Nachher vergleichen, reichen daher nicht aus, um die zwischenmenschlichen Veränderungen und die positiven oder negativen Folgen der Transferversuche zu erfassen. Das von Nielsen und Sheperd (2022) vorgeschlagene ITTEM-Modell (Integrated Training Transfer and Effectiveness Model) zur Bewertung der Effekte von Weiterbildungen zur Verbesserung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz ist ein gutes Beispiel für diese neue Sichtweise, da es ein breites Spektrum an Wirksamkeitsindikatoren und eine langfristige Beobachtung vorsieht.

Literatur

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  1. Lernergebnisse (oder «Learning Outcomes»), anhand derer mithilfe von Spezifikationstabellen die konkreten Indikatoren festgelegt werden sollen, die zur Bewertung der Weiterbildungseffekte herangezogen werden sollen.
  2. Der Transfer wird in den Forschungsarbeiten im Durchschnitt 14 bis 15 Wochen nach der Weiterbildung gemessen (Blume et al., 2010; Schoeb et al., 2021).
  3. Diese werden in der englischsprachigen Literatur unter dem Akronym KSAs für Knowledges, Skills, and Abilities zusammengefasst.

Nathalie Delobbe ist Professorin an der Fakultät für Psychologie und Erziehungswissenschaften der Universität Genf. Kontakt: Nathalie.Delobbe@unige.ch

Erwan Bellard ist Lehrbeauftragter an der Fakultät für Psychologie und Erziehungswissenschaften der Universität Genf. Kontakt: Erwan.Bellard@unige.ch