12.11.2025
N°2 2025

Expansives Lernen

Mit diesem Heft begibt sich die EP auf die Suche nach Lernprozessen, die – aus einer subjektwissenschaftlichen Perspektive betrachtet – als expansiv bezeichnet werden können. Expansives Lernen geschieht, wenn wir den Lernanlass mit unseren Lebensinteressen verbinden und ihm so eine subjektive Bedeutsamkeit zuweisen können. Wer expansiv lernt, antizipiert mit seiner Lernaktivität eine Erweiterung der eigenen Handlungsmöglichkeiten und eine Entfaltung oder Verbesserung seiner Lebensqualität.

In Praxis und Politik sowie teilweise in der Wissenschaft ist derzeit jedoch eine gegenläufige Tendenz zu beobachten: Lernen wird zunehmend in den Dienst vielfältiger wirtschaftlicher und sozialer Anforderungen gestellt und dadurch teilweise instrumentalisiert. So soll Weiterbildung bspw. Menschen fit machen für den Arbeitsmarkt oder die Anpassung an technologische Entwicklungen wie KI vorantreiben – oft ohne dass gefragt würde, wie sich die Lernaktivitäten mit den subjektiven Lebensinteressen, Handlungs- und Entfaltungsmöglichkeiten der Erwachsenen verbinden lassen.

So wichtig Arbeitsmarktfähigkeit oder ein sinnvoller Umgang mit KI sind, wenn keine Verbindung zu den subjektiven Interessen der Lernenden entsteht, bleibt – so die subjektwissenschaftliche Lerntheorie – der Lernerfolg oberflächlich und begrenzt. Klaus Holzkamp spricht in diesem Fall von defensivem Lernen. Im Gegensatz zum expansiven Lernen ist defensives Lernen primär darauf ausgerichtet, Bedrohungen abzuwehren und Nachteile oder Sanktionen zu vermeiden, nicht aber sich vertieft sachliche und soziale Bedeutungszusammenhänge anzueignen.

Das Begriffspaar expansiv-defensiv sollte allerdings nicht als zwei sich ausschliessende Pole verstanden werden. Vielmehr handelt es sich um ein Kontinuum. Ein defensiv angelegtes Lernen kann sich zum vertieften, expansiven Lernen entwickeln. Und umgekehrt können expansive Lernprozesse auch misslingen und sich in Richtung eines eher defensiven Lernens verschieben.

Die wissenschaftliche Diskussion um expansives Lernen wird im Anschluss an die Lerntheorie Holzkamps in der Erwachsenenbildung bereits seit über 20 Jahren geführt. Dieses Heft versammelt theoretische und forschungsbasierte Beiträge, die aufzeigen, wie expansives Lernen verstanden, reflektiert und unterstützt werden kann. Im einleitenden Beitrag erörtert Erik Haberzeth die theoretischen Grundlagen der subjektwissenschaftlichen Perspektive auf expansives Lernen und setzt den Ansatz in Bezug zu anderen Lerntheorien.

Expansives Lernen wird oft mit Veränderungs- und Transformationsprozessen in Verbindung gebracht. Christine Zeuner zeigt auf, wo die Perspektive des transformativen Lernens Parallelen zu jener des expansiven Lernens aufweist und wo die Unterschiede liegen. Eine dritte Perspektive bringt Evi Agostini ein: Sie setzt den phänomenologischen Ansatz, der sich ebenfalls mit lebensentfaltendem Lernen befasst, in Bezug zur Perspektive des expansiven Lernens. 

Weitere Autorinnen und Autoren thematisieren das expansive Lernen in spezifischen Kontexten. Bei Claudia Kulmus stehen Lernprozesse von älteren Menschen im Zentrum. Anne Walther befasst sich mit Lernprozessen in Ernährungsbiographien Erwachsener. Helen Buchs und Lynette Weber geben Einblick in die Resultate einer qualitativen Studie über Erwachsene, die nicht an Weiterbildungsangeboten teilnehmen. Sebastian Lerch und Henrik Weitzel zeigen in ihrem Beitrag, dass bürgerschaftliches Engagement ein Erfahrungsraum für expansives Lernen sein kann. 

In Ergänzung zu den Beiträgen, die die Perspektive des expansiven Lernens theoretisch und empirisch darstellen und einordnen, hat die EP-Redaktion Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildner aufgefordert, über ihr eigenes expansives Lernen nachzudenken. Das Ergebnis dieses Nachdenkens sind zehn Geschichten des expansiven Lernens, die im Beitrag von Lynette Weber versammelt sind.

 

 

 

Den Artikel als PDF lesen
Expansives Lernen