23.05.2023
N°1 2023

Intuitive individuelle Förderung des Lerntransfers durch Vorgesetzte. Am Beispiel Weiterbildung Lokpersonal SBB

Diese Studie untersucht, ob und wie Vorgesetzte den Lerntransfer in der betrieblichen Weiterbildung fördern. Dazu wurden acht Vorgesetzte von Lokführerinnen und -führern im Personenverkehr der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) befragt. Es zeigt sich, dass Vorgesetzte eine wesentliche Rolle im Lerntransfer spielen. Dabei lässt sich eine gewissermassen natürliche Individualisierung in der betrieblichen Bildung erkennen. Vorgesetzte sehen sich zwar nicht in der Verantwortung, den Lerntransfer geplant zu unterstützen und geben den Mitarbeitenden nur selten Feedback zur Transferleistung. Intuitiv unterstützen jedoch alle Befragten sehr individuell und mit transferförderlichen Massnahmen. 

Die 2750 Lokführerinnen und -führer im Personenverkehr der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) durchlaufen jährlich einen obligatorischen, betrieblichen Weiterbildungstag zu Vorschriftenänderungen. Die Abteilung Bildungsverantwortung bietet dafür 250 Kurstage pro Jahr an, die Kosten dafür belaufen sich auf rund drei Millionen Franken. Das Wissen ist bis zum Stichtag der Vorschriftenänderung abrufbereit zu halten und muss ab dann sofort fehlerfrei angewendet werden. Es gibt also kaum Zeit für einen geordneten Lerntransfer und keinen Raum, um aus Fehlern zu lernen. Diese Problematik zeigt sich gleichermassen in vielen sicherheitsrelevanten Berufen im öffentlichen Verkehr oder anderen Branchen, die stark reglementiert funktionieren. Dazu gehören z.B. auch viele Berufe in der Gesundheits- und Sicherheitsbranche. 

Im Folgenden werden die Begriffe «Lerntransfer» definiert und verbreitete «Lerntransfermodelle» kurz vorgestellt. Was über die Rolle der Vorgesetzten im Lerntransfer bekannt ist, wird ebenfalls kurz zusammengefasst. Anschliessend werden das Design der hier vorgestellten Studie sowie Ergebnisse und Konklusionen zu Vorgängen während des Lerntransfers aus der Perspektive der Vorgesetzten dargestellt. 

Bei dem hier konkret untersuchten Weiterbildungsinhalt handelt es sich um eine Vorschriftenänderung, die Schweizer Regeln an europäische Vorschriften anpasst: In der Vergangenheit konnten Zahlen in der fernmündlichen Kommunikation unter Mitarbeitenden wie z.B. Zugnummern oder Gleisabschnitte als Zahlenpaare gesprochen werden, neu gilt ein «digit-by-digit»-System. Die Änderung ist zwar klein, aber sie ist einerseits hochrelevant für die Sicherheit – z.B. sind Missverständnisse zu belegten Gleisabschnitten absolut zu vermeiden – und sie greift in Kommunikationsautomatismen ein und will diese per Stichtag verändern. 

Theoretischer Rahmen zum Lerntransfer in der betrieblichen Weiterbildung

Lerntransfer

Betriebliche Weiterbildung hat zum Ziel, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen zu vermitteln, um die Arbeitsleistung entlang der regulatorischen Vorgaben und strategischen Zielsetzungen des Unternehmens zu verbessern oder zu erhalten (Meissner, 2012, S. 12). Die betriebliche Weiterbildung findet per Definition off the job statt (Gnefkow, 2008, S. 20). 

Betriebliche Weiterbildung soll einerseits individuelle Bedürfnisse der Mitarbeitenden berücksichtigen, aber auch die betrieblichen Ziele der Unternehmung unterstützen. Dies kann zu Konflikten führen, wenn z.B. die Weiterbildungsthemen nicht für alle Teilnehmenden gleich relevant oder ansprechend erscheinen wie für das Unternehmen (Meissner, 2012, S. 14–15). 

Betriebliche Weiterbildung bietet ein Lernfeld, um notwendiges Wissen für die vorschriftsgemässe Arbeit aufzubauen. Das Wissen ist in die betriebliche Praxis, das Funktionsfeld, zu transferieren (Gnefkow, 2008, S. 31) und zur Routine zu entwickeln. Die Transferwirkung wird nur erreicht, wenn das im Lernfeld Gelernte, also die Lernresultate, erfolgreich ins Funktionsfeld transferiert werden. 

Mit erfolgreichem Lerntransfer ist die Anwendung gelernten Wissens oder Verhaltens auf ähnliche oder neue Situationen gemeint, wobei die Anwendung nachhaltig und langfristig erfolgt (Baldwin & Ford, 1988, S. 63; Blume et al., 2010, S. 1067ff; Gessler, 2012, S. 375; Hinrichs, 2016, S. 21). Demnach werden zwei Hauptdimensionen von Lerntransfer unterschieden. 

  • Generalisieren: das Ausmass, in dem aus Lernsituationen erworbenes Wissen und Fertigkeiten auf Aufgaben im Funktionsfeld übertragen werden. 
  • Behalten: das Ausmass, in dem Veränderungen aus einer Lernerfahrung bestehen bleiben. 

Lerntransfer kann ergebnisbezogen oder prozessbezogen evaluiert werden. In diesem Beitrag sind prozessbezogene Modelle relevant, da es um die Rolle von Vorgesetzten im Prozess des Lerntransfers geht.

Lerntransfermodelle

In der Literatur finden sich mehrere Modelle mit Bezug zum Lerntransfer. Hier wird das erprobte Modell von Baldwin und Ford (1988) als Grundlage verwendet. Es führt Trainingsinputs auf, die sich auf den Lernerfolg (lernen und aufrechterhalten) und Transfererfolg (generalisieren und beibehalten) auswirken. Es zeigt, dass es nicht genügt, wenn Lernende die Trainingsinhalte lernen und behalten. Lernende müssen über die nötigen Fähigkeiten, Persönlichkeitseigenschaften und Motivation verfügen, um Gelerntes anzuwenden. Zudem müssen sie in einer für den Lerntransfer förderlichen Arbeitsumgebung arbeiten (Piezzi, 2002, S. 13). 

Das von Holton et al. (2000) entwickelte und validierte Lerntransfer-System-Inventar (LTSI) liefert aufbauend auf dem Lerntransfer-Modell von Baldwin & Ford (1988) besonders für den hier wichtigen Aspekt Arbeitsumfeld relevante Erkenntnisse. Es werden transferfördernde Katalysatoren und transferhemmende Barrieren identifiziert. Das LTSI zeigt 16 Faktoren im Bereich Lernende, Training und Arbeitsumgebung auf, die als Katalysatoren oder Barrieren für den Lerntransfer wirken (Kauffeld, 2010, S. 131, 2016, S. 133; Kauffeld et al., 2008, S. 51). 

Das Modell der Transferlücke (Wilkening, 2002) wird hier ebenfalls berücksichtigt, da die Anwendung des Neugelernten im vorliegenden Fall verzögert per Stichtag erfolgt. Das Modell zeigt auf, dass nach einem Lernzuwachs in der Vorbereitung und Durchführung einer Weiterbildung der Wissensstand den höchsten Punkt erreicht. Danach fällt die Kurve rasch ab. Als Grund für diesen Kurvenverlauf sieht Wilkening (2002) die grosse Anzahl von Transferhemmnissen, die den Transfer aus dem Lernfeld ins Funktionsfeld erschweren, Zeitverzögerung ist ein hemmender Faktor. Mit Transfermassnahmen kann versucht werden, dem entgegenzuwirken. Um die Kurve noch weiter zu steigern, ist selbstorganisiertes Weiterlernen der Teilnehmenden nach betrieblichen Weiterbildungen nötig. 

Rolle der Vorgesetzten im Lerntransfer 

Der Zusammenhang zwischen Transfererfolg und den Vorgesetzten ist nachgewiesen und relevant (Burke & Hutchins, 2007, S. 281–282; Dudak & Korunka, 2007). In der betrieblichen Bildung kann mangelnde Unterstützung durch Vorgesetzte eine hohe Barriere für eine transferorientierte Lernkultur sein (Seufert, 2013, S. 316). Vorgesetzte sollten Lernkontexte in Arbeitsprozessen gestalten, formelles und informelles Lernen begleiten, Lernkultur fördern und Führungssituationen lernorientiert gestalten (Seufert, 2013). 

Die Vorgesetzten sind grundsätzlich für die Aus- und Weiterbildung der direkt unterstellten Mitarbeitenden zuständig. Das Führungsverständnis schliesst demnach die bestmögliche Entwicklung der Mitarbeitenden ein. Dazu müssen die Vorgesetzten in die Bildungsprozesse involviert werden. Sie stellen damit sicher, dass Weiterbildungsmassnahmen an die Leistungsprozesse anschlussfähig sind (Piezzi, 2002, S. 180–181). 

Die Vorgesetzten werden auch von Lemke (1995, S. 48ff) und Kauffeld (2010, S. 146) prominent als wesentlicher Erfolgsfaktor für den Lerntransfer identifiziert, mit Einfluss vor, während und nach dem Training: Vorgesetzte wirken als Vorbilder – sowohl im positiven wie negativen Sinn; sie sorgen für eine konsistente – oder inkonsistente – Unternehmenskommunikation; sie können Lerntransfer aktiv mit Worten und Taten unterstützen bzw. behindern. Die aktive Einflussnahme gelingt z.B. über Transfergespräche vor oder nach der Weiterbildung (Dubs, 1990; Hense & Mandl, 2011; Kauffeld, 2010; Michalk & Ney, 2018). Mitarbeitergespräche oder Feedbackgespräche sind weitere Möglichkeiten, den Lerntransfer zu begleiten und zu fördern (Michalk & Ney, 2018; Solga, 2011). Demnach sind individuelles Verhalten von Vorgesetzten und individualisierte Führungsmassnahmen besonders relevant, wobei die Wirkung vor allem mit persönlicher Kommunikation erzielt wird. 

Studiendesign

Das neu entwickelte und in Abbildung 1 dargestellte «Lerntransfermodell Weiterbildungstag Lokpersonal» zeigt, wie Lerntransfer in der spezifischen betrieblichen Weiterbildungspraxis funktioniert. Es integriert das Transfermodell von Baldwin und Ford (1988) (vgl. weisse Pfeile unten, Abb. 1), das Lerntransfer-System-Inventar von Holton et al. (2000) sowie Kauffeld et al. (2008) mit Katalysatoren und Barrieren im Lerntransfer (weisse Felder oberhalb und unterhalb, Abb. 1) sowie das Modell der Transferlücke von Wilkening (2002) (Ziffer 1, Abb. 1). 

Das Modell wurde für die Herleitung der Forschungsfrage und als Visualisierung in den Experteninterviews verwendet. Die Forschungsfrage klärt, was in der Transferphase im Funktionsfeld vorgeht (Ziffer 2 in Abb. 1) und lautet: 

Wie unterstützen die Vorgesetzten des Lokpersonals den Lerntransfer der Weiterbildungstage im Funktionsfeld, damit der Lernerfolg bei Vorschriftenänderungen in der Performanz der Mitarbeitenden sichtbar wird und welche innere Einstellung haben die Vorgesetzten zu ihrer Rolle im Lerntransfer?

Die Forschungsfrage wurde in die folgenden fünf Teilfragen gegliedert:

  • a) Welche innere Einstellung haben die Vorgesetzten zu ihrer Rolle im Lerntransfer der Weiterbildungstage Lokpersonal? Es wird auch untersucht, welche Einstellung gegenüber Weiterbildungstagen vorherrschen. Denn ein negatives (Vor)Urteil zu obligatorischen Weiterbildungstagen könnte die Lerntransfer-Unterstützung behindern. 
  • b) Welche Beobachtungen machen die Vorgesetzten des Lokpersonals zum Lerntransfer von Vorschriftenänderungen im Funktionsfeld? 
  • c) Wie unterstützen die Vorgesetzten des Lokpersonals den Lerntransfer der Weiterbildungstage bei Vorschriftenänderungen? 
  • d) Wie beurteilen die Vorgesetzten den Transfererfolg aus den Weiterbildungstagen des Lokpersonals? 
  • e) Wie könnte der Lerntransfer im Funktionsfeld aus Sicht der Vorgesetzten des Lokpersonals verbessert werden? 

Nicht untersucht wird die Perspektive der Lernenden bzw. Weiterbildungsteilnehmenden, entsprechend werden Barrieren und Katalysatoren wie z.B. Motivation oder Selbstwirksamkeitserwartung hier nicht thematisiert.

Für die Beantwortung der Forschungsfrage wurde die Methode des leitfadengestützten, teilstrukturierten Experteninterviews verwendet. Aus den insgesamt 65 Vorgesetzten des Lokpersonals wurden acht deutschsprachige Vorgesetzte mit unterschiedlichem Profil ausgewählt und befragt. Mit den Experteninterviews gelang es, explorativ zu erkunden, was im Lerntransfer beim Lokpersonal aus Sicht der Vorgesetzten passiert.

Die 90-minütigen Experteninterviews fanden im Dezember 2020 statt und wurden mittels einer inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet (vgl. Kuckartz, 2018). 

Vielfältige individuelle Massnahmen zur Lerntransferförderung

Einschätzung Weiterbildungstag und Eignung der Lernresultate für den Lerntransfer

Die Vorgesetzten beurteilen die Qualität der Weiterbildungstage als gut bis sehr gut. Keiner der interviewten Vorgesetzten äussert sich negativ über das Weiterbildungsangebot. Die Ausbilderinnen und Ausbilder werden dabei als wesentlicher Erfolgsfaktor wahrgenommen. Die Vorgesetzten schätzen den jährlichen obligatorischen Weiterbildungstag auch deshalb, weil sich die Lokführerinnen und Lokführer mit Kolleginnen und Kollegen zu fachlichen Themen austauschen können. Bei der Umsetzung von Vorschriftenänderungen erfüllen die Weiterbildungstage aus der Perspektive der Vorgesetzten eine wichtige und relevante Funktion, da mit praxisnahen Beispielen die Umsetzung von Vorschriftenänderungen verdeutlicht wird. Die Vorgesetzten bestätigen die Passung von Lernen und Arbeit, die Lernresultate sind transferierbar. Das Ergebnis zeigt, dass die Vorgesetzten der Weiterbildung positiv gegenüberstehen und damit an einer für den Lerntransfer förderlichen Arbeitsumgebung mitwirken.

Lerntransfer von Weiterbildungstagen aus der Perspektive von Vorgesetzten

Die Vorgesetzten berichten nach der Einführung der geschulten Vorschriftenänderung von einer guten Umsetzung in der Praxis. Der Sinn der Änderung werde von einigen Mitarbeitenden zwar hinterfragt, die Umsetzung erfolge trotzdem meist zuverlässig. Passieren Fehler in der Umsetzung, führen die Vorgesetzten dies auf die Übergangsphase zurück. Die Vorgesetzten wissen nicht, wie die Mitarbeitenden die zeitliche Lücke zwischen dem Lernfeld und dem Lerntransfer im Funktionsfeld überbrücken. Es wird vermutet, dass es sehr individuell sei und kaum in Weiterlernen oder Auffrischen investiert werde. Die Antworten zeigen, dass die Vorgesetzten die Umsetzung von Vorschriftenänderungen bei ihnen unterstellten Mitarbeitenden positiv bewerten. Einzelne Interviewpartner schliessen nicht aus, dass die Mitarbeitenden im Beisein von Vorgesetzten die Vorschriftenänderungen zuverlässiger anwenden als in ihrer täglichen Arbeit.

Die Vorgesetzten stellen primär anlässlich von Begleitungen im Führerstand fest, ob Vorschriftenänderungen umgesetzt werden. Die Begleitungen sind Stichproben. Vorgesetzte begleiten ihre Mitarbeitenden höchstens einmal jährlich im Arbeitsprozess. Sind Vorschriftenänderungen anlässlich der Begleitung nicht zu beobachten, werden teilweise Fragen gestellt, um den Umsetzungsgrad abzuschätzen. Informelle Zufallskontakte oder Meldungen nach Unregelmässigkeiten sind weitere Quellen, wie die Vorgesetzten die Arbeitsqualität beurteilen. Die Vorgesetzten intervenieren, wenn sie Nulltransfer feststellen. Dabei nehmen sie eine coachende Führungsrolle ein und versuchen, die Mitarbeitenden zur Einsicht zu bewegen. Auf eine harte Konfrontation und direktive Führung wird verzichtet. Die Ergebnisse zeigen, dass der Lerntransfer stark individualisiert kontrolliert und thematisiert wird.

Die Vorgesetzten benennen die Personalzimmer für Pausen als wichtigen Sozialraum mit einer Wirkung auf den Lerntransfer. Mitarbeitende diskutieren dort geschulte und eingeführte Vorschriftenänderungen. Die Diskussionen spiegeln oft eine negative Grundhaltung zu Veränderungen. Trotzdem erachten die Vorgesetzten diese Gespräche als bedeutend, um Gelerntes zu verarbeiten und in die Praxis umzusetzen. Die Vorgesetzten beteiligen sich nicht an den Gesprächen, hören aber mit. Sie intervenieren nicht und lassen diesen Diskussionen ihren Platz, dabei hoffen sie auf ein positives Resultat aus diesem Prozess.

Katalysatoren und Barrieren im Lerntransfer

Als wirkungsvoller Katalysator wird die Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen gesehen. Die oben beschriebenen Gespräche unter dem Lokpersonal sind ein Aspekt. Bedeutender ist jedoch, dass die Kolleginnen und Kollegen an Kommunikationsschnittstellen einen grossen Einfluss haben. Wenden Fahrdienstleitende oder Rangiermitarbeitende Vorschriftenänderungen selbst an und beanstanden Fehler des Lokpersonals, erzeugt dies einen Konformitätsdruck. Je mehr Beteiligte am System die Vorschriften anzuwenden versuchen, umso besser gelingt die Umsetzung. In der Zusammenarbeit werden negative Folgen bei Nichtanwendung konkret spürbar. Das motiviert dazu, vorschriftenkonform zu arbeiten. Auch in diesem Ergebnis zeigt sich die Individualisierung im Lerntransfer: Jede und jeder Einzelne wirkt mit dem individuellen Verhalten auf das Gesamtsystem ein und entfaltet in der Peer-to-peer-Kommunikation Wirkung.

Als Barrieren im Lerntransfer sehen die Vorgesetzten primär Faktoren mit Bezug auf die Teilnehmenden der Weiterbildungen. Deren Motivation, Selbstwirksamkeitsüberzeugung und Ergebniserwartung werden dabei hervorgehoben. Die persönliche Transferkapazität wird ebenfalls als relevant angesehen. Sind die Vorschriftenänderungen noch nicht generalisiert, führen Stress und Ablenkung zu einer schlechteren Umsetzung, obwohl das Wissen vorhanden wäre. Als Katalysator sehen die Vorgesetzten ihre aktive Rolle als Moderierende am Weiterbildungstag. Durch den eigenen Kursbesuch kennen sie zudem alle Themen detailliert.

Konkrete Unterstützungsmassnahmen

Die Vorgesetzten nennen in den Interviews viele konkrete Unterstützungsmassnahmen. Gesprächssituationen sind dabei ein wichtiges Instrument. Vorgesetzte führen mit Mitarbeitenden im Normalfall ein bis zwei formale und allenfalls wenige informelle individuelle Gespräche pro Jahr. Wird dabei die Weiterbildung angesprochen, steht die Frage nach der Zufriedenheit und weniger der inhaltliche Aspekt im Zentrum. Begleiten die Vorgesetzten die Mitarbeitenden, ist ein Gespräch während der Fahrt aus Sicherheitsgründen nicht zulässig. Nach der Zugfahrt bleibt nur ein kleines Zeitfenster für Feedback. Feedback zur Arbeitsleistung erhalten Mitarbeitende deshalb selten und es werden nur die wichtigsten positiven und negativen Punkte besprochen.

Explizit sehen die Vorgesetzten die Begleitung des Lerntransfers nicht als ihre Aufgabe. Sie sehen dies primär in der Eigenverantwortung der Mitarbeitenden und bei der betrieblichen Bildungsorganisation. Vorgesetzte kommen zum Einsatz, wenn Abweichungen festgestellt werden. Implizit enthalten die Interviews viele konkrete Hinweise darauf, dass Vorgesetzte eine sehr aktive Rolle belegen und konkret und individuell Verantwortung übernehmen. 

Vorgesetzte und Peers als Katalysatoren im Lerntransfer 

Die Befragung zeigt: Vorgesetzte beurteilen den Lerntransfer durch das aufmerksame und wohlwollende Beobachten der Mitarbeitenden. Dies geschieht konkret während individueller Begleitungen im Führerstand oder mittels Auswertungen von Ereignismeldungen. Fehler in der Umsetzung werden individuell besprochen und den Mitarbeitenden wird dabei der Sinn der Vorschrift erläutert. Vorgesetzte sind in der Rolle des Coaches und leisten Überzeugungsarbeit.

Die Vorgesetzten sehen die Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen als relevanten Katalysator für den Lerntransfer. Das Lokpersonal arbeitet allein, die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen ist deshalb sehr relevant. Die Diskussionen in Personalzimmern erfüllen für viele Mitarbeitende eine wichtige Funktion, auch wenn die Gespräche nicht immer konstruktiv erscheinen. Dabei geäusserte negative Einstellungen zu Vorschriftenänderung mögen als eine Barriere im Lerntransfer erscheinen, werden aber von den befragten Vorgesetzten zugelassen, damit die Mitarbeitenden einen offenen kollegialen Austausch pflegen können. Dies kann möglicherweise zum Abbauen von Barrieren beitragen. 

Mit der persönlichen Transferkapazität, der Motivation zum Lerntransfer und der Ergebniserwartung sehen die Vorgesetzten die Barrieren für den Lerntransfer primär bei den Mitarbeitenden. Die Unterstützung durch Vorgesetzte wird von den Befragten zwar nicht als relevanter Faktor genannt, ist aber faktisch gegeben. Werden die genannten Massnahmen seitens der Vorgesetzten mit den Vorschlägen aus der Literatur (Kauffeld, 2010; Kauffeld et al., 2009) verglichen, zeigt sich eine hohe Übereinstimmung. Die Vorgesetzten unterstützen mit vielen individuellen Einzelmassnahmen aktiv den Transfererfolg: Sie beobachten, beraten, begleiten, kommentieren, informieren, erinnern, coachen, führen informelle Gespräche und lassen kollegialen Austausch inklusive kollektives Murren zu. Sie sind auch bestrebt, vorbildlich zu handeln, und unterstützen damit aktiv den Lerntransfer im Funktionsfeld, obwohl sie sich explizit nicht in der Verantwortung sehen. 

Eine Begründung, warum sie sich nicht für die Implementierung von Transfermassnahmen verantwortlich fühlen, deckt sich mit den Ergebnissen aus einer Studie von Weinbauer-Heidel (2016): Es besteht die Erwartung, dass die Mitarbeitenden eigenverantwortlich handeln. Während der Interviews waren Ansätze zu einem Wandel bezüglich des Zuständigkeitsgefühls beobachtbar. Die Vorgesetzten könnten demnach zu einem noch wichtigeren Katalysator werden, der mit geringem Aufwand deutlich gestärkt werden könnte. Zur Stärkung beitragen können: Bewusstsein um die eigene Rolle, genügend Zeit für individuelle Massnahmen, Wertschätzung der Rolle durch die Vorgesetzten der Vorgesetzten.

Kauffeld, S. (2016). Prozessbezogene Evaluation: Erfolgsfaktoren für den Transfer. In: S. Kauffeld (Hrsg.), Nachhaltige Personalentwicklung und Weiterbildung: Betriebliche Seminare und Trainings entwickeln, Erfolge messen, Transfer sichern (S. 131–152). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-48130-1_6

Wilkening, O. S. (2002). Bildungs-Controlling – Erfolgssteuerungssystem der Personalentwickler und Wissensmanager. In: H.-C. Riekhof (Hrsg.), Strategien der Personalentwicklung: Mit Praxisberichten von Bosch, Gore, Hamburg-Mannheimer, Opel, Philips, Siemens, Volkswagen, Weidmüller und WEKA (5. Aufl). Gabler.

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