23.11.2021
N°2 2021

Kompetenzverschiebungen bei Ausbildenden im Spiegel der Reform des AdA-Baukastens 

Im Rahmen der Reform des AdA-Baukastens ist das Kompetenzprofil für Ausbilderinnen und Ausbilder in der Weiterbildung deutlich erweitert worden. Berücksichtigt wurden nicht allein verwertungsorientierte Handlungskompetenzen, sondern auch übergeordnete Professionskompetenzen. Das nun vorliegende Kompetenzprofil orientiert sich denn in einem umfassenderen Sinn an der Frage, was gutes Lehren/Lernen ausmacht.

Der Schweizerische Verband für Weiterbildung SVEB setzt sich als Dachverband seit den 1990er Jahren für die Professionalisierung der Ausbildenden ein. So ist er unter anderem auch in der höheren Berufsbildung und der Weiterbildung mit dem eidg. Fachausweis «Ausbilderin/Ausbilder» erfolgreich präsent. Nun hat er eine Reform dieses Lehrgangs in Gang gesetzt, die durch den Autor in der Funktion einer berufspädagogischen Begleitung unterstützt wurde. Um dem Anspruch der Berufsfelddidaktik (Rosen & Schubiger, 2013) zu genügen, wurden zur Entwicklung des Kompetenzprofils alle relevanten Anspruchsgruppen eingeladen. Das waren in einem ersten Schritt Arbeitgebende von Ausbildenden sowie Ausbildende, die den Lehrgang bereits absolviert hatten. In einem zweiten Schritt wurde die wissenschaftliche Perspektive miteinbezogen. In diesem Rahmen fanden Diskussionen zur aktuellen Didaktik der Erwachsenenbildung respektive über gutes Lehren und Lernen statt. Auch der SVEB selbst verfügt als Dachverband im Bereich der Erwachsenendidaktik über eine hohe Expertise. Nebst den strategischen Ansprüchen der Trägerschaft mussten auch die Regulatorien des Bundesamtes für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) berücksichtigt werden, da es sich beim Fachausweis «Ausbilderin/Ausbilder» um einen formalen Abschluss der höheren Berufsbildung im Tertiärbereich handelt.

Zu Beginn des Reformprozesses wurden mehrheitlich verwertungsorientierte Handlungskompetenzen formuliert, die auch als das Handwerk oder Grundfertigkeiten bezeichnet werden können. Sie beschreiben im Grunde die aktuellen Anforderungen an die Ausbildenden. Diese Fokussierung auf die unmittelbare Verwertbarkeit und Arbeitsmarktfähigkeit ist nicht unüblich und wird vom Autor in vielen Berufsbildentwicklungen beobachtet. Mit dem Einbezug von Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft und Erwachsenenbildung konnten zusätzlich übergeordnete Professionskompetenzen wie Haltungen und Standards der Erwachsenenbildung sowie Kompetenzen der Zukunft herausgearbeitet werden.

Zukunftsgerichtetes Kompetenzprofil

Damit kann das nun vorliegende Kompetenzprofil sicherlich als vollständig und zukunftsgerichtet betrachtet werden. Es vereint Planungshandeln auf der Mikro- und Mesoebene, methodisches Handeln, Interaktionshandeln mit Einzelnen oder in Gruppen, aber auch Reflexionshandeln als Denkhandlung sowie die Orientierung an Professionsstandards.

Aktuelles Handlungskompetenzprofil für den eidg. Fachausweis Ausbilderin/Ausbilder

A     Lehr- und Lernveranstaltungen planen

A1 Grobplanung für eine Lehr-/Lernveranstaltung resp. Lernbegleitung unter Berücksichtigung der curricularen und institutionellen Vorgaben erstellen

A2 Lehr- und Lerneinheiten und deren Ausgestaltung lernprozessorientiert in einer Feinplanung konstruieren und dokumentieren

A3 Operationalisierte Lernziele aus vorgegebenen Kompetenzen formulieren

A4 Einsatz von Lehr- und Lernmedien planen

A5 Kompetenz- und lernzielorientierte Lernaufgaben entwickeln

A6 Transfer mit geeigneten Konzeptionen und Methoden planen

A7 Valide Prüfungsverfahren planen

A8 Technologiebasierte Kommunikationsformen zur Lernunterstützung planen

A9 Blended Learning Settings planen

A10 Einfache technologiebasierte Medien für verschiedene Lernprozesse adaptieren und gestalten

A11 Berufsfelddidaktische Überlegungen in die Planung von Lehr-/Lernveranstaltungen miteinbeziehen

B     Lehr- und Lernveranstaltungen durchführen

B1 Verschiedene Lehr- und Lernformen lernprozess- und zielorientiert einsetzen

B2 Arbeitsprozesse und Lernschritte anleiten

B3 Technologiebasierte Medien im Lehr-/Lernprozess einsetzen

B4 Feinplanung adaptiv und prozessorientiert umsetzen

B5 Lernergebnisse im Lernprozess individuell und kollektiv sichern

B6 Lernleistungen und Verhalten beurteilen sowie bewerten

B7 Geeignete Methoden und Verfahren zum Transfer und zur Überprüfung der Lernergebnisse einsetzen

B8 Lernaktivitäten und soziale Interaktion lernförderlich gestalten

B9 Binnendifferenzierung in heterogenen Gruppen methodisch realisieren

B10 Handlungsorientierte Methoden in komplexen Lehr-/Lernsituationen einsetzen  

C     Lehr- und Lernveranstaltungen evaluieren

C1 Vollständige Feedbackprozesse mit geeigneten Instrumenten durchführen

C2 Vorgegebene Qualitätssicherungsmassnahmen umsetzen

C3 Die eigene Lehr-/Lernqualität sichern und entwickeln 

D     Mit Teilnehmenden im Lernprozess interagieren

D1 Mit den Teilnehmenden einen wertschätzenden Umgang pflegen

D2 Wertschätzende Interaktion und Kommunikation zwischen den Teilnehmenden im Lernprozess ermöglichen

D3 Ein unterstützendes Lernklima fördern 

E     Teilnehmende lernprozessorientiert begleiten und fördern

E1 Teilnehmenden Rückmeldungen zu Kompetenzen und Lernfortschritten geben

E2 Aus Kompetenzen abgeleitete Lernziele aus der Sicht des Ausbilders/der Ausbilderin oder gemeinsam mit Teilnehmenden bestimmen und deren Erreichung überprüfen

E3 Begleitprozesse unter Berücksichtigung der Selbstorganisation und Selbstwirksamkeit gestalten

E4 Unterstützende Gespräche mit einzelnen Teilnehmenden im Bewusstsein der eigenen Haltung und Rolle führen

E5 Lernverhalten wahrnehmen, Lernschwierigkeiten und Ressourcen der Teilnehmenden erkennen und sie in ihrer Entwicklung unterstützen

E6 Methoden zur Lernbegleitung begründet wählen

E7 Im eigenen Fachbereich interessierte Personen über geeignete Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Abschlüsse informieren

F     Gruppen leiten und moderieren

F1 Gruppenprozesse wahrnehmen und einordnen

F2 Das kommunikative Verhalten einer Gruppe wahrnehmen und aktiv mitgestalten

F3 Situationsgerecht in Gruppenprozessen intervenieren

F4 Die Rollen in Gruppen klären

F5 Lernvereinbarungen mit Gruppen entwickeln

F6 Fragestellungen inhaltlich moderieren

F7 Interaktionsprozesse moderieren 

G     Lehr- und Lernveranstaltungen aufgrund von Vorgaben kompetenz- und transferorientiert konzipieren

G1 Im eigenen Fachbereich den Bildungsbedarf sowie die Interessen und Voraussetzungen der Adressatinnen und Adressaten für eine Ausbildungseinheit abklären

G2 Fachliche sowie überfachliche Kompetenzen formulieren

G3 Ein didaktisches Design für eine vorbestimmte Ausbildungseinheit entwickeln

G4 Die Überprüfung der Erreichung von Kompetenzen konzipieren

G5 Für eine Ausbildungseinheit ein Transferkonzept entwickeln

G6 Lehr-/Lernveranstaltungen subjekt- und biografieorientiert konzipieren 

H     Das eigene professionelle Handeln reflektieren und weiterentwickeln

H1 Die eigene Rolle klären und entsprechend gestalten

H2 Das eigene Lehr-/Lernverständnis, eigene Werte, Haltungen und Normen vor dem Hintergrund der eigenen Biografie reflektieren

H3 Das eigene Verhalten überprüfen und wo nötig anpassen

H4 Probleme der Praxis im kollegialen Team reflektieren und lösen

H5 Strategien zur Bewältigung von Belastungssituationen entwickeln und umsetzen

H6 Veränderlichkeit, Unsicherheiten, Widersprüche und Komplexität im eigenen didaktischen Handeln antizipieren und berücksichtigen

H7 Professionsverständnis im eigenen Arbeitskontext entwickeln

H8 Diversität in die Reflexion von Lehr-/Lernveranstaltungen miteinbeziehen 

I      Ethische Standards im Berufsalltag umsetzen

I1 Lebenslanges Lernen fördern und ermöglichen

I2 Integrität der Teilnehmenden bewahren

I3 Diversität, Interkulturalität, Multi- und Transkulturalität bewusst wahrnehmen und konstruktiv nutzen

I4 Das berufliche Handeln vorurteilsfrei ausrichten

I5 Diverse Werteorientierungen akzeptieren und Perspektivenwechsel vornehmen

I6 Lehr-/Lernprozesse als Ermöglichung von Lernen interpretieren

I7 Exzellenz im beruflichen Handeln anstreben

I8 Chancengerechtigkeit ermöglichen

I9 Nachhaltigkeit von personellen und materiellen Ressourcen planen und umsetzen

Das Kompetenzprofil ist so formuliert, dass es sich auf unterschiedlichste Lernsettings im formalen und nonformalen Bereich adaptieren lässt, sowohl in der Grundbildung wie auch im Tertiär- und Quartärbereich. Neu kommt hinzu, dass auch Lehr-/Lernsettings in der Lernbegleitung berücksichtigt werden.

Kategorien des Kompetenzprofils

Das vorliegende Kompetenzprofil umfasst drei Kategorien mit unterschiedlichen Charakteristika.

Kategorie I: Vorprofessionelle Kompetenzen

Es gibt Situationen, die sich laufend wiederholen. Diese können mit einer gewissen Handlungsroutine und entsprechendem Wissen respektive entsprechenden Fertigkeiten bewältigt werden. Solche Kompetenzen lassen sich gut in abgeschlossenen Lernveranstaltungen wie in einem Modul entwickeln. Sie beinhalten oft einfache vollständige Handlungen und entsprechen dem behavioristischen sowie handlungspsychologischen TOTE-Konzept (test-operate-test-exit). Diese Handlungskompetenzen können auch als vorprofessionelle Kompetenzen bezeichnet werden. Sie sind in diesem Sinne zwingend, aber für ein professionelles Handeln nicht hinreichend, denn sie werden der Komplexität der Realität kaum gerecht. Sie weisen einen instrumentellen und verwertungsorientierten Charakter auf. Bei den Anspruchsgruppen der Praxis stossen sie jedoch auf hohe Akzeptanz.

Beispiel: «Operationalisierte Lernziele aus vorgegebenen Kompetenzen formulieren».

Kategorie II: Kompetenzen professionellen Handelns

Einige Kompetenzen weisen schon in ihrer Formulierung darauf hin, dass sie in verschiedenen Situationen und unterschiedlicher Komplexität zur Anwendung kommen. In diesem Sinne haben sie einen adaptiven Charakter. Umgekehrt kann die Entwicklung dieser Kompetenzen weniger über ein in sich geschlossenes Lerngefäss als vielmehr über Wiederholungen auf unterschiedlichen Stufen erfolgen. Hier bietet sich der lehrgangsorientierte Ansatz mit einem Spiralcurriculum und kontinuierlichem Reflektieren von Erfahrungen an. Kompetenzen dieser Kategorie zeigen sich in der Bewältigung unterschiedlicher Situationen mit hoher Variabilität und Unvorhersehbarkeit. Sie stellen hohe Anforderungen an die kognitiven Leistungen resp. die fluide Intelligenz der Profession. Die Entwicklung dieser Kompetenzen führt zur eigentlichen Professionalisierung des beruflichen Handelns.

Beispiel: «Ein didaktisches Design für eine vorbestimmte Ausbildungseinheit entwickeln».

Kategorie III: Professionskompetenzen

Die dritte Kategorie kann als transversale Kompetenz bezeichnet werden. Sie ist in allen Handlungssituationen wirksam und zeigt nebst der Wissens- und Fertigkeitskomponente eine starke Haltungs- und Werteausprägung. Diese Kompetenz lässt sich durch konkretes Handeln, kontinuierliches Feedback und wiederkehrende Reflexionsschlaufen entwickeln. Mit ihrer intentionalen Ausrichtung ist sie grundlegend und wird über eine langjährige Auseinandersetzung entwickelt. Sie legt das Fundament für die Ausbildung der Profession resp. des Professionsverständnisses.

Beispiel: «Chancengerechtigkeit ermöglichen».

Berücksichtigte Tendenzen

Im neuen Kompetenzprofil von Ausbildenden auf der Stufe Fachausweis sind folgende Schwerpunkte erkennbar, die auch als Antwort auf die veränderten Anforderungen an Ausbilderinnen und Ausbilder verstanden werden können:

1.     Mehr lernen – weniger lehren

In der Erwachsenenbildung findet die Subjektorientierung bei der Gestaltung von Lernumgebungen aktuell in vielen formalen wie auch nonformalen Aus- und Weiterbildungen die nötige Beachtung. Anstelle von Bildungseinheiten, in denen alle Lernenden zur gleichen Zeit dieselben Lernschritte bewältigen, werden individuelle Lernwege ermöglicht. Die Arbeit in den Grundlagen-Workshops zeigte durchwegs, dass in den unterschiedlichen Lernumgebungen die Fokussierung auf die individuellen Lernprozesse und -wege mehr Beachtung erhält. Der Paradigmenwechsel von einer Vermittlungsdidaktik hin zu einer Ermöglichungsdidaktik zeigt sich im vorliegenden Kompetenzprofil signifikant.

2.     Zunehmende Bedeutung der Lernprozessbegleitung

Der im obigen Abschnitt beschriebene Paradigmenwechsel «mehr lernen – weniger lehren» verändert die Rolle der Ausbildenden fundamental. Die Lernbegleitung, das zur Reflexion anregende Gespräch sowie die individuelle Lernprozess- und Lernstandsanalyse stellen neue Anforderungen. Dies hat in der Entwicklung des vorliegenden Qualifikationsprofils dazu geführt, dass ein eigenständiger Handlungskompetenzbereich «Teilnehmende lernprozessorientiert begleiten und fördern» geschaffen wurde. Dabei erhält das Lernportfolio eine besondere Bedeutung. Denn nebst der Förderung individueller Lernprozesse sollen auch Möglichkeiten für individuelle Dokumentationen und Reflexionen geschaffen werden.

Die Idee des Portfolios oder auch E-Portfolios findet in vielen aktuellen Berufsrevisionen Eingang. Mit den Möglichkeiten cloudbasierter Plattformen kann auch das lernortübergreifende Lernen gefördert werden.

Das Portfolio ist grundsätzlich eine individuelle prozessorientierte Methode, die auch formative und summative Beurteilungen ermöglicht. Prozessbegleitend regt sie die Lernenden an, Arbeitsergebnisse auf unterschiedlichste Repräsentationsarten zu sammeln, festzuhalten und zu reflektieren. Ausgewählte Kompetenzen, Ablageordnung, Reflexionsfragen, Kriterien an die Portfolioarbeit selbst wie auch Standortgespräche sind während der Ausbildung wichtige Elemente der Portfolioarbeit. Als Prüfung entspricht die Portfolioarbeit dem Assessment eigener individueller Evidenz.

In der Ausbildung von Ausbildenden soll die Portfolioarbeit und deren Ausrichtung am Kompetenzprofil zu fortwährender Reflexion der eigenen Professionskompetenz führen. Professionskompetenzen zu formulieren, welche die Reflexionsfähigkeit fördern, war auch eine Forderung der wissenschaftlichen Anspruchsgruppen. Der AdA-Modulbaukasten wird mit diesem Ansatz den Bildungsanbietern den Portfolioansatz dringend empfehlen. Aus Sicht des Autors wird dieser Ansatz nicht nur im AdA-System ein zentraler Entwicklungsschwerpunkt sein. Es gilt in den nächsten Jahren, diese Idee mit guten Instrumenten, methodischen Hilfestellungen und technischen Lösungen zur Entfaltung zu bringen.

3.     Stärkere Gewichtung des Interaktionshandelns und der Beziehungsgestaltung

John Hatties (2012) vielbeachtetes Werk «Visible Learning» geht der Frage nach, was wirklich lernwirksam ist. Er verfolgt sie mit einer Metastudie über Metastudien in akribischer Weise und berücksichtigt dabei bis zum heutigen Zeitpunkt über 80’000 Einzelstudien. In einer bisher noch nie dagewesenen Ausführlichkeit stellt Hattie Interventionen rund um das Lehren und Lernen nach ihrer Wirksamkeit mit vergleichbaren Effektstärken dar und beurteilt sie. Leider werden diese Vergleiche häufig missverstanden und teilweise auch für politisch motivierte Argumentationen missbraucht. So wurde in der deutschen Boulevardpresse das Ende der «Kuschelpädagogik» mit der grossen Effektstärke der «direkten Instruktion» angekündigt. Einerseits wurde die «direkte Instruktion» fälschlicherweise mit dem immer noch weit verbreiteten Frontalunterricht und dem fragend entwickelnden Unterricht verwechselt. Andererseits werden innovative Ansätze mit selbstorganisiertem Lernen oder offenen Lernformen mit einer Laisser-faire-Pädagogik verwechselt.

Hattie fasst in seinem letzten Kapitel zusammen, worauf es wirklich ankommt: «The teacher matters». Diese wenig überraschende Schlussfolgerung bringt er aber mit essenziellen «Mindsets» von wirkungsvollen Ausbildenden zusammen. Entscheidend sind nicht die konkret eingesetzten Methoden, sondern die Haltungen und Überzeugungen der Ausbildenden.

Solche Haltungen und Überzeugungen sind:

  • Ich weiss, dass es primär um das Lernen und weniger um das Lehren geht.
  • Ich bin mir der Wirkung meines Handelns bewusst und überprüfe es deshalb laufend.
  • Ich bin überzeugt, dass ich eine Wirkung auf das Lernen der Lernenden habe.
  • Ich erachte die Ergebnisse von Prüfungen auch als Feedback für mich, nicht nur für die Lernenden.
  • Ich engagiere mich für einen echten Dialog.
  • Ich suche die Herausforderung und gebe mein Bestes.
  • Ich fühle mich für gute Beziehungen innerhalb der Lerngruppe mitverantwortlich.
  • Als Expertin/Experte für das Lernen bilde ich mich kontinuierlich weiter.

Zusammengefasst beschreibt Hattie «gute Lehrpersonen» als Menschen, die versuchen, das Lernen aus der Perspektive der Lernenden zu verstehen.

Betrachtet man die didaktischen Interventionen mit grossen Effektstärken, so fällt auf, dass diese vorwiegend auf einer dialogischen Beziehungsqualität aufbauen:

  • Direkt instruieren
  • Lernende nicht etikettieren
  • Feedback geben
  • Feedback entgegennehmen

Das alles sind Interventionen mit folgenden Beziehungsqualitäten:

  • Fordern und Fördern
  • Klarheit schaffen
  • Den Lernenden auf Augenhöhe begegnen
  • Vertrauen aufbauen
  • Den Lernenden vorurteilsfrei begegnen

Die Bedeutung der Beziehung zwischen Ausbildenden und Lernenden wird bis heute unterschätzt. Gerade die aktuellen Forschungsergebnisse der sozialen Neurowissenschaften zeigen, welche Wirkung Ausbildende auf die Neurophysiologie des Gegenübers haben können. Cozolino (2013) bezeichnet Ausbildende darum auch als «neurologische Bildhauer». Das neue Kompetenzprofil wertet die Bedeutung von Kompetenzen rund um die Beziehungsgestaltung und das Interaktionshandeln deutlich auf.

4.     Selbstverständlichkeit des Einbezugs digitaler Medien und Kommunikationskanäle

Die Forderung nach dem Einbezug digitaler Medien und Kommunikationskanäle wurde seitens der Trägerschaft bereits zu Beginn gestellt. Idee war, die Kompetenzen des Weiterbildungsmoduls «Lernprozesse digital unterstützen» vollumfänglich in die Ausbildung zu integrieren. In den Grundlagenworkshops mit den Praxisvertretungen zeigte sich, dass der Einsatz digitaler Medien in der Praxis bereits eine Selbstverständlichkeit ist. Die Erfahrungen der letzten Monate führten allerdings zur Erkenntnis, dass es in Zukunft überhaupt nicht genügt, traditionelle Lernumgebungen eins zu eins zu digitalisieren. Vielmehr sollen neue Lernformen wie das E-Portfolio, gruppenunabhängige Kollaborationen und Ko-Konstruktionen oder individualisierte Lernpfade mit adaptiven Lernaufgaben durch digitale Instrumente erst möglich gemacht werden. Hier warten noch ungeahnte Möglichkeiten, auf welche die Ausbildenden vorbereitet werden müssen. Das Kompetenzprofil des Ausbilders nimmt diese Herausforderung wahr und formuliert explizite Handlungskompetenzen rund um die Gestaltung digital vermittelter Lernumgebungen, Interaktionen und Lernprozesse. Die Herausforderung wird nicht im Umgang mit neuen technischen Möglichkeiten liegen. Die Herausforderung wird sein, wie wir unser Wissen und unsere Erfahrung über gutes Lernen in digitale Räume und Welten transformieren.

5.     Ausschliessliche Orientierung an der Entwicklung von Kompetenzen

Das Primat der Kompetenzorientierung wurde in der vorliegenden Reform konsequent eingehalten, zumindest auf Dokumentenebene. Leider ist in der Praxis nach wie vor das Inhaltsprimat zu beobachten. So werden zu Beginn von Lernprozessen beim Reaktivieren von Ressourcen oftmals nur Vorkenntnisse abgefragt. Und auch im weiteren Verlauf wird oft lediglich neues Wissen aufgebaut, angewendet und reflektiert. Kompetenzorientierte Lernprozessgestaltungen berücksichtigen jedoch in allen Lernschritten nebst dem Wissen auch Fertigkeiten, Erfahrungen, persönliche Haltungen, Einstellungen und Volitionen (Schubiger 2016, 2019).

6.     Transfer als integraler Bestandteil des Lehr-/Lernsettings

Der Transfer soll ein integraler Bestandteil des Lehr-/Lernsettings und kein nachgelagertes Phänomen sein. Es reicht nicht, am Ende des Lernprozesses eine Hausaufgabe zu erteilen. Damit Transfer wirklich stattfindet, muss er ins gesamte Arrangement der Lernumgebung integriert werden (Schubiger, 2019). Zusammengefasst heisst das:

  • Transfer geschieht in der bidirektionalen Wechselwirkung zwischen Theorie und Praxis, zwischen Individuum und Lern- sowie Funktionsumgebung. Er geschieht sehr selten spontan.
  • Die Transferwahrscheinlichkeit kann durch die Gestaltung einer geeigneten Lernumgebung unterstützt werden. Der generalisierte Transfer ist ein eher seltenes Ereignis. Daher müssen sowohl das Lern- als auch das Funktionsfeld möglichst nahe zusammengebracht werden.
  • Der Transfer ist kein einzelner Lernprozessschritt, sondern sollte von der Problemstellung zu Beginn bis zur Überprüfung der Kompetenzen integriert werden.
  • Die Transferwahrscheinlichkeit ist nicht nur von der didaktischen Gestaltung einer Lernumgebung abhängig, sondern es gilt auch Faktoren wie die individuelle Transferstärke (Koch, 2018) zu beachten.

Das vorliegende Kompetenzprofil von Ausbildenden berücksichtigt diesen Aspekt von Transfer sowohl beim Planungs- wie auch beim Interaktionshandeln.

7.     Fokussierung auf die Reflexion der eigenen professionellen Kompetenz und deren Weiterentwicklung unter Berücksichtigung professioneller Standards und Haltungen

Durch zwei explizite Handlungskompetenzbereiche zur Professionalität bekräftigt das vorliegende Kompetenzprofil zwei grundlegende Haltungen der Trägerschaft:

  • Professionalität entwickelt sich nur durch die kontinuierliche Reflexion vor, während und nach der Handlung (Schön, 1983). Das vorliegende Kompetenzprofil soll dazu eine Referenz bieten und die Ausbildenden zu diesem iterativen und lebenslangen Lernprozess anregen.
  • Handlungskompetenzen der Bereiche A–G sind an sich wertneutral. Mit ethischen Standards steht die Trägerschaft klar und deutlich zu normativen Haltungen, die dem Kompetenzprofil nebst wirkungsvollen und verwertungsorientierten Handlungskompetenzen auch eine unverkennbare Ausrichtung verleihen.

Mit diesen beiden Handlungskompetenzbereichen weicht das vorliegende Qualifikationsprofil deutlich von vielen verwertungsorientierten Profilen der höheren Berufsbildung ab und stellt auch Ansprüche jenseits von empirischen Erkenntnissen. Klaus Zierer (2019), notabene Mitübersetzer und Mitautor von Hatties Werken, gibt zu bedenken, dass es noch andere Perspektiven von Lehr-/Lernqualität zu beachten gilt.

Er verweist auf vier zentrale Fragen in Anlehnung an Ken Wilbers (2002) erkenntnistheoretisches Modell des guten Lernens:

  1. Was ist ein effektives Lernen? (objektive Perspektive)
  2. Was ist ein freudvolles Lernen? (subjektive Perspektive)
  3. Was ist ein kulturell passendes Lernen? (intersubjektive Perspektive)
  4. Was ist ein funktionales Lernen? (interobjektive Perspektive)

Schulsysteme mit höchsten Effektstärken wie etwa asiatische zeigen unter anderem Schattenseiten in Bereichen der psychischen Gesundheit. Ein Lernort, an den Lernende sowie Ausbildende mit Freude hingehen, zeigt womöglich Wirkungen, die sich selbst mit ausgeklügelten Forschungsdesigns kaum vermessen lassen. Jeder Lernort ist auch in eine gesellschaftliche Situation und in einen kulturellen Kontext eingebunden, deren Abhängigkeit nicht ausser Acht gelassen werden kann. Eine Passung trägt zu Konfliktfreiheit und Entwicklung bei. Jede Lernumgebung bekommt auch gerade durch die gesellschaftliche Einbettung eine funktionale Ausrichtung und Aufgabe. So haben Gymnasien, Berufsfachschulen, höhere Fachschulen, Weiterbildungsstätten, betriebliche Ausbildungsabteilungen oder Hochschulen eine ganz bestimmte Funktion zu erfüllen, deren Erfüllungsgrad ebenso etwas über ihre Qualität aussagt.

Fazit

Das vorliegende Kompetenzprofil von zukünftigen Ausbilderinnen und Ausbildern mit eidg. Fachausweis nimmt auf der einen Seite alt bewährte und grundlegende Handlungskompetenzen des Lehrens und Lernens wieder auf. Auf der anderen Seite berücksichtigt das Profil unübersehbare Tendenzen einer individualisierten, subjektorientierten, digitalisierten und auf den Lernprozess fokussierten Lehr-/Lernwelt. Das Profil sucht aber auch zu skizzieren, dass Ausbilderinnen und Ausbilder selbst Lernende sind und überdies eine Didaktik und Methodik ihre Wirkung nur im Zusammenhang mit einer entsprechenden Beziehungsgestaltung zu Lernenden entfaltet. Mit seiner Orientierung an einem formalen Abschluss der höheren Berufsbildung, an den wissenschaftlichen Erkenntnissen über gutes Lehren und Lernen sowie an einer guten Praxis und an berufsethischen Standards erfüllt dieses Kompetenzprofil die wesentlichen Kriterien von Professionalität.

Literatur

Cozolino, L. (2013). The Social Neuroscience of Education. New York & London: Norton

Hattie, J. (2012). Visible Learning. New York: Routledge

Koch, A. (2018). Die Transferstärke-Methode. Weinheim und Basel: Beltz

Renkl, A. (1996). Träges Wissen: Wenn Erlerntes nicht genutzt wird. In: Psychologische Rundschau, 47 (2), S. 78–92

Rosen, S. & Schubiger A. (2013). Berufsfelddidaktik der höheren Berufsbildung. Bern: hep.

Schön, D. A. (1983). The reflective practitioner. How professionals think in action. New York: Basic Books

Schubiger, A. (2016). Lehren und Lernen. Bern: Hep (2. Auflage)

Schubiger, A. (2019). Wie Transfer gelingt. Warum wir nicht immer tun, was wir wissen. Bern: Hep

Wilber, K. (2002). Eros, Kosmos, Logos – eine Jahrtausend-Vision. Frankfurt am Main: Fischer

Zierer, K. (2019). Hattie für gestresste Lehrer. Baltmannsweiler: Schneider Verlag

Andreas Schubiger, Dr. Phil., ist Inhaber des Instituts für Kompetenzentwicklung, Training und Transfer (I-K-T GmbH). Er begleitete den AdA-Revisionsprozess als berufspädagogischer Experte. Kontakt: andreas.schubiger@i-k-t.ch