Orte und Lernen im Alter – die Aneignung des Lebensumfeldes als expansives Lernen
Der Beitrag bearbeitet Fragen des Lernens im späteren Leben anhand eines kontextualisierten und sozialräumlichen Lernbegriffs. Die Teilnahme an Weiterbildung sinkt im höheren Alter und es stellt sich die Frage, welche anderen Lerngelegenheiten ältere Menschen möglicherweise finden. Damit kommt eine sozialräumliche Perspektive mit einem stärkeren Fokus auf Lernen im alltäglichen, lokalen Lebensumfeld in den Blick. Die Frage gerade im «entpflichteten» und durchaus auch von Mobilitätseinschränkungen gefährdeten Alter ist daher, welche Aktionsräume Menschen im späteren Leben nutzen und wie diese bei der Entfaltung von Lebensinteressen bedeutsam werden. In der Analyse werden verschiedene Dimensionen der Bedeutung alltäglicher Lebensorte rekonstruiert und als expansives Lernen interpretiert.
Einleitung
Expansives Lernen als theoretische Brille für Lernen im späteren Leben – im höheren Alter – verspricht einen Aufschluss nicht nur über Lernen, sondern auch über spezifische Herausforderungen dieser Lebensphase. Altern ist mehrdimensional (Kulmus, 2018), als abgrenzbare Lebensphase lässt sich Alter jedoch über die Pensionierung definieren (Kulmus, 2018) und beinhaltet heutzutage einen langen Zeitraum. Der Artikel betrachtet vorrangig Menschen ab der Pensionierung und bis ins sogenannte 5. Lebensalter hinein. Das Alter nicht als vorrangig problematisch und defizitär zu betrachten, sondern die Vielgesichtigkeit und Komplexität der Lebensphase anzuerkennen (Brink, 2023; Bubolz-Lutz, 2022), erweist sich als Herausforderung im Diskurs um Alter(n) und Lernen (Kulmus, 2024). Gleichzeitig scheint Lernen im Alter tatsächlich keine Selbstverständlichkeit zu sein: Daten aus Monitorings zur Weiterbildungsteilnahme zeigen regelmässig eine Abnahme an nonformaler Weiterbildung um das Pensionierungsalter herum, beziehen allerdings häufig ältere Menschen über das Pensionierungsalter hinaus gar nicht erst ein (z.B. BMBF, 2024; Kulmus, 2024). Die sinkende Beteiligung wird durchaus zur Problematisierung des Alters als Beleg für Defizitdiagnosen genutzt (Kulmus, 2024), weckt aber zugleich Fragen nach dem Verhältnis von Teilnahme und Lernen und nach dem Verhältnis von Lernen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung: Lernen im Alter muss möglicherweise weiter und breiter gedacht werden, jenseits klassischer nonformaler Bildungseinrichtungen. Dann rückt die alltägliche Lebensführung von (älteren) Menschen stärker in den Fokus und die Frage, wie Lernen hier eingebunden ist. Alltägliches Leben findet nicht abstrakt statt, sondern in einem konkreten, meist v.a. lokalen Umfeld. International gewinnt deshalb die Frage nach der «Altersfreundlichkeit» von Städten und Gemeinden (WHO, 2024; Moulaert & Garon, 2016) zunehmend an Gewicht1.
In dieser Perspektive auf das alltägliche Leben und Lernen in einer konkreten räumlichen Umgebung ist der folgende Forschungszugang angesiedelt. Ausgehend von der im Kontext subjektorientierter Lerntheorie so wichtigen konkreten Situiertheit von Menschen, wird im Folgenden die Frage nach expansivem Lernen im Alter in Verbindung mit der Frage nach Lernorten empirisch bearbeitet.
Forschungsprojekt «Lebens- und Lernorte im Alter»
Kernfrage des Projekts «Lebens- und Lernorte im Alter» war, an welchen Orten und in welchen «Aktionsräumen» ältere Menschen alltäglich leben und möglicherweise auch lernen. Das Projekt wurde von 2023 bis 2024 durchgeführt und aus Mitteln der Exzellenzinitiative der Universität Hamburg gefördert (Kulmus, 2025a). Das Alter, hier gemeint als Lebensphase nach der Pensionierung (Kulmus, 2018), ist eine ambivalente, auch bezogen auf Lernen: Sie scheint prädestiniert für ein selbstbestimmtes Leben und Lernen, weil Verpflichtungen wegfallen, die zuvor einen Grossteil der Lebenszeit eingenommen haben. Diese Gewinne an Lebenszeit, an Freiheit zur Entscheidung über Aktivitäten und über die Verfolgung eigener Lebensinteressen werden allerdings begleitet von altersspezifischen Verlusten bzw. Gefährdungen. Als solche wurden Themen wie Vergänglichkeit und sich verkürzende Zukunftshorizonte herausgearbeitet sowie drohende leibliche Einschränkungen (ebd.). Diese wiederum können die Teilhabe an Aktivitäten im physischen Raum, im ländlichen oder urbanen Umfeld, erschweren. Unsere Körper sind das Medium, über das wir an Gesellschaft und «Welt» teilhaben. Wenn sich diese im Alter in ihrer wachsenden Verletzlichkeit zeigen, kann dies zum Lernanlass werden, etwa durch die Teilnahme an Bewegungsangeboten wie QiGong (ebd.); es kann aber auch die Teilhabe an Gesellschaft und an Lerngelegenheiten erschweren.
Mit der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie (Holzkamp, 1995 und Haberzeth, 2025 in diesem Heft) lässt sich anders fragen, nämlich inwieweit Lernen, ausgehend von den subjektiven Lebensinteressen, zur Erweiterung der Verfügung über Lebensbedingungen beiträgt und damit expansiv wird. Holzkamp betont dabei in manchmal vergessener Stärke die konkrete, materiale Bedingtheit von Lernenden. Der Mensch sei ein «sinnlich-körperliches Individuum» (ebd., S. 253), seine Perspektive auf die Welt und damit auch seine Lebens- und Lerninteressen an seinen sinnlich-stofflichen Körper gebunden. Damit löst Holzkamp die Abstraktion typischer Monitoringkategorien wie Alter, Geschlecht oder sozioökonomischer Status auf und betont stattdessen die Konkretheit gegebener Lebensbedingungen (ebd., S. 253), über die es nie eine absolute, vollständige Verfügung geben kann. Lernen bedeutet dann auch, ausgehend von der Positionierung in der Welt zu erkennen, wo die «blosse Faktizität Schranken setzt und Widerstand leistet» (ebd., S. 254) und wo daraus vielleicht erst recht Lernanlässe entstehen können (auch Meyer-Drawe, 2012). Empirisch wurde schon beschrieben, dass der Körper sich der eigenen Intentionalität widerständig entgegenstellen kann und entsprechende leibliche Verfügungseinschränkungen nicht umgedeutet, aber verstanden und «lernend bearbeitet» werden können (Kulmus, 2018).
Während Holzkamp dieses v.a. in Bezug zu einem schon erkannten thematischen Lerninteresse erarbeitet, stellt sich im Kontext der alltäglichen Lebensführung und des Diskurses um alltägliche Lebensorte als potenzielle Lernorte (Bernhard et al., 2015; Noack & Veil, 2014) die Frage, wie das konkrete alltägliche Lebensumfeld angeeignet wird und ob hier expansives Lernen identifiziert werden kann. Damit wird eine räumliche Dimension mit einbezogen, die die Holzkamp’sche Situiertheit erweitert auf die materiellen Bedingungen der Lebensumwelt und die sowohl in der Erwachsenenbildung als auch in der Altersforschung thematisiert werden (Haberzeth, 2018; Muchow & Muchow, 1998; Bernhard et al., 2015; Käpplinger, 2020; Noack & Veil, 2014). Vor diesem Hintergrund wurde im Projekt die Frage nach Lebensorten im Alter und potenziellen Lernaktivitäten gestellt.
Leitfragen waren: An welchen Orten im Quartier bewegen sich ältere Menschen? Welche Orte und Wege sind für sie wichtig? Werden diese Orte auch zu Lernorten und wenn ja: in welcher Weise? Diesen Fragen wurde über die Methode «narrative Landkarten» (Behnken & Zinnecker, 2010) nachgegangen: Auf einem Blatt Papier zeichneten die Gesprächspartner*innen ihren Aktionsraum ein und erläuterten in dem begleitenden Gespräch, welche Bedeutung die Orte für sie haben. Dies erfolgte meist in Einzelgesprächen, auf Wunsch aber auch in einem gemeinsamen Gespräch als Ehepaar, einmal auch in einer Gruppe von vier Frauen. Insgesamt liegen derzeit 19 narrative Landkarten zu Interviews mit 22 Personen im Alter zwischen 50 und 83 Jahren vor. Die Auswertung bezog sich in einem kategorisierenden Verfahren darauf aufzuzeigen, welche Bedeutsamkeit die alltäglichen Lebensorte für die Menschen haben und inwieweit hier möglicherweise expansives Lernen sichtbar wird (vgl. auch Skowranek, Schultz-Edwards & Kulmus, 2025; Kulmus, 2025b).
Die Bedeutung alltäglicher Lebensorte für expansives Lernen im Alter
Die Ergebnisse werden zunächst anhand des Falls von Friede (Name geändert) dargestellt.
Friede ist zum Zeitpunkt des Interviews 81 Jahre alt, geschieden und hat erwachsene Kinder und Enkelkinder. Sie lebt in einem Hamburger Stadtteil ohne gute S-Bahn-Anbindung an die Innenstadt, seit einiger Zeit allerdings mit einer Schnellbuslinie. Friede wohnt in einem Einfamilienhaus, das ihr Eigentum ist und sie mit ihrem verstorbenen Ehemann gekauft hat. Das Haus liegt an einem Strassenzug mit Einfamilienhäusern und ist nur wenige Kilometer von einem Naherholungsgebiet am Rande von Hamburg entfernt. Der Strassenzug grenzt auch unmittelbar an ein Siedlungsgebiet, das durch Hochhäuser, aber auch durch barrierefreie und damit sowohl alters- als auch familiengerechte Mehrfamilienhäuser mit einem Spielplatz geprägt ist. Friede ist körperlich stark eingeschränkt und bezeichnet sich selbst als «stark gehbehindert», sie nutzt Rollator und Stock zum Gehen und hat kürzlich eine Fussoperation hinter sich gebracht. Sie nutzt auch für kurze Wege überwiegend das Auto.
Ihre narrative Landkarte beschreibt, ausgehend von ihrem Haus, einen fast schon kreisförmigen Nahraum. Begrenzt wird er auf der einen Seite durch die Strasse, die sie mit dem Auto nutzt. Innerhalb des Kreises liegt eine Ansammlung von (auch in der Realität bunten) Gebäuden, die das Bürgerzentrum darstellen. Für Friede ist v.a. ein orangenes Haus wichtig, das sie ziemlich mittig in dieser Ansammlung eingezeichnet hat. Eine weitere Linie zeigt in die andere Richtung und führt aus dem Kreis heraus zu einer – nicht mehr bildlich dargestellten – Auflistung von Orten in Hamburg, die ausserhalb ihres alltäglichen Nahraums liegen. Hier sind seltenere, aber durchaus regelmässig besuchte Orte in Hamburg beschrieben, z.B. Theater, Oper, Ballett, aber auch, näher an dem umkreisten Nahraum, ein Ärztehaus. Unterhalb des Kreises sind mit Verweis auf den Sommer das Naherholungsgebiet «Marsch» und dort vorhandene Cafés genannt. Das immerhin zweidimensional eingezeichnete Bürgerhaus in der Mitte des Kreises erscheint fast wie ein Campus des täglichen Lebens innerhalb eines weiteren Umfeldes.
In der Analyse lässt sich herausarbeiten, welche Handlungs- und Erfahrungsmöglichkeiten diese Orte jeweils eröffnen. Damit kann gezeigt werden, welche «Leistung» die Orte für die Menschen erbringen und auf welche – möglicherweise «bedrohten» – Lebensinteressen sie Antwort geben (vgl. auch Skowranek, Schultz-Edwards & Kulmus, 2025).
Die identifizierten Bedeutsamkeitskategorien lassen sich in vier Kategorien bündeln. Sie können auch als Dimensionen von Lebensinteressen verstanden werden und werden im Folgenden anhand der Lebensorte von Friede konkretisiert:
- Alltägliche und gesundheitsbezogene Lebenserhaltung: Dazu gehören in der Karte etwa das Ärztehaus, das Friede regelmässig aufsuchen muss, sowie «Einkaufen», was hier zu grossen Teilen bei einem nahegelegenen Discounter («Lidl») verortet wird. Dazu gehören aber auch Besuche in dem nahgelegenen Erholungsgebiet, in dem immerhin kurze Spaziergänge als Bewegungsangebot genutzt werden.
- Identität und Beziehung: Hierzu gehört sowohl so etwas wie eine biografische Vergewisserung etwa über Begegnungen mit der Familie, als auch zentral der Aufenthalt im eigenen Zuhause: Das Wohnhaus von Friede ist ihr zentraler Lebensort, der Ort, an dem sie mit ihrem (ehemaligen) Ehemann ihre Kinder grossgezogen hat und um den sie während der Scheidung mit viel Kraft gekämpft hat. Diese Kategorie wird in anderen Interviews auch adressiert etwa durch Besuche am Grab des verstorbenen Ehemannes oder durch Besuche an früheren Wohnorten (vgl. Skowranek, Schultz-Edwards & Kulmus, 2025). Hierzu gehören aber auch Aktivitäten, die zwar an Orte wie ein Café oder das Theater gebunden sind, v.a. aber dadurch gekennzeichnet sind, dass sie mit anderen getan werden: Theaterbesuche, Cafébesuche, auch Familienausflüge sowie vielfältige Begegnungen im Bürgerzentrum, die von zufälligen und kurzfristigen Begegnungen über längere freundschaftliche Beziehungen reichen.
- Lernen und Weiterbildung: Hierunter ist v.a. die Teilnahme an den Angeboten des Bürgerzentrums zu nennen sowie auch der Besuch kultureller Veranstaltungen in der Stadt – hier nicht mit dem Fokus auf den gemeinsamen Besuch mit Freunden, sondern darauf, dies durchaus auch als Bildungsangebot zu verstehen. Diese Kategorie bezeichnet in einem engeren Verständnis thematisch gebundenes Lernen in einem organisierten Format, über Kurse, über Informationsangebote, über Vorträge etc., aber auch die bewusste Deutung von Kulturangeboten als Bildungsangebote.
- Verantwortung und Gestaltung: Sichtbar hier v.a. in dem Konstrukt des Bürgerzentrums wird bei Friede ein Motiv – Lebensinteresse – deutlich, das darauf gerichtet ist, ihr lokales Lebensumfeld mitzugestalten. Sie koordiniert ehrenamtlich den «Aktiv-Treff», der eine der Seniorenaktivitäten ist, die im Bürgerzentrum stattfinden und durch einen grossen Wohlfahrtsverband angeboten werden. Sie nimmt zudem Teil an der «Borner Runde», einem Bürgerbeteiligungsgremium für den Stadtteil. Diese Aufgaben «bescheren» ihr eine mit Terminen und Verpflichtungen durchstrukturierte Arbeitswoche und eine Sichtbarkeit als Ansprechpartnerin für Bedarfe und Bedürfnisse der Menschen aus dem Stadtteil. In dieser Sichtbarkeit und Vernetzung mit anderen Einrichtungen im Bürgerzentrum etwa im Bereich Migrationsberatung und Jugendarbeit kann sie ihrem Interesse nachkommen, nicht nur für sich selbst die Lebensbedingungen zu verbessern, sondern auch einen gesellschaftlichen Beitrag zu einer insgesamt lebenswerteren, sozial integrierten Gesellschaft zu leisten und Verantwortung zu übernehmen.
Diese Kategorien lassen sich übergreifend als Kategorien der Bedeutsamkeit relevanter Lebensorte begreifen, die «genutzt» werden, um die Verfügung über Lebensbedingungen – auch unter den erschwerten Bedingungen der Altersphase – aufrechtzuerhalten und zu erweitern. So erfordern sowohl das Altern als solches als auch, wie im Fall von Friede, massive körperliche Einschränkungen die Zugänglichkeit von medizinischen Einrichtungen sowie eine alltagstaugliche Erreichbarkeit etwa von Einkaufsmöglichkeiten. Gerade in Bezug auf die Aufrechterhaltung eines selbstbestimmten Alltags unter altersspezifisch erschwerten Bedingungen schwingt die Abwehr einer Bedrohung immer mit, nämlich der einer zunehmend eingeschränkten Mobilität. Anders als bei Holzkamp liegt hier der Fokus nicht auf «fremdgesetzten» Anforderungen des Lebens (wie etwa gesellschaftlichen Lernerwartungen), sondern in der anthropologisch bedingten körperlich-leiblichen Situiertheit von Menschen. Die in der Grafik als steigende Grade interpretierbaren weiteren Kategorien reichen über die sehr grundlegende Lebenserhaltung hinaus. Sie beinhalten gewissermassen eine Expansivität: zum einen darüber, dass sie teilweise einen erweiterten Aktionsraum darstellen (so z.B. der Besuch von Kulturangeboten oder dem Naherholungsgebiet). Zum anderen sind sie jedoch auch an Themen der Beschäftigung mit Inhalten gebunden, die über den leiblichen Selbstbezug hinausreichen (Kulmus, 2021; Kulmus & Haberzeth, 2025), etwa in der ehrenamtlichen Mitgestaltung von Bürgertreff und Stadtteil, aber auch in den kulturellen Aktivitäten und der Teilnahme an Kursen und Vorträgen.
Sie können damit mindestens als Ausdruck expansiver Aktivität interpretiert werden. Die Frage nach Lernen ist damit nicht völlig problemlos gleichzusetzen. Es wird deutlich, dass der Lernbegriff weit gefasst werden muss, wenn er Lernen im Alter angemessen verstehen und auch würdigen will: nicht nur in einem engeren Sinn als Lernen im Sinne einer Teilnahme an Veranstaltungen oder als Aneignung konkreter Themen in Kursen, bei Vorträgen oder Informationsveranstaltungen oder auch selbstorganisiert, sondern auch als Aneignung und aktive Nutzung des konkreten Lebensumfeldes. Da Altern ein Prozess der beständigen, wenn auch oft schleichenden Veränderung ist, der in letzter Konsequenz im «Stillstand» des Todes enden wird, lässt sich expansives Lernen hier auch als immer wieder neues Erhalten der Verfügung über den eigenen Lebensraum unter gegebenen – auch körperlichen – Bedingungen verstehen. Dabei treten die Orte selbst bisweilen hinter den Tätigkeiten und Erfahrungen, die sie ermöglichen, zurück: So sind die «Cafés in der Marsch» deswegen nicht näher benannt, weil sie in der subjektiven Deutung v.a. mit dem gemeinsamen Ausflug mit Freunden verbunden sind. Dies bestärkt die Wichtigkeit der Frage danach, welche subjektiven Erfahrungen und Tätigkeiten solche Orte eröffnen. Zumindest müssen sie allerdings als konkret-räumliche Infrastruktur überhaupt zur Verfügung stehen und zugänglich sein.
Ausblick
Mit Blick auf expansives Lernen im späteren Leben wird deutlich, welche hohe Relevanz der soziale Nahraum gerade im späten Leben bekommen kann und wie wichtig der Zugang zu barrierefreien Verkehrsmitteln und Unterstützung bei der Mobilität sind für die Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten auch in räumlicher Hinsicht. Digitale Angebote (etwa von Theater und Musik) können die Infrastruktur zwar bereichern, aber das Erleben eines Ballettsaals und des Weges dorthin mit einem gemeinsamen Restaurantbesuch im Anschluss nicht ohne weiteres ersetzen.
Lernen unter den erschwerten Bedingungen des Alterns braucht aber entsprechende Infrastrukturen und möglicherweise auch Begleitangebote z.B. durch Ehrenamtliche für die Erweiterung des Lebensumfeldes, wenn körperliche Einschränkungen dies nicht mehr ohne Hilfe oder entsprechende räumliche Strukturen erlauben. Zudem könnten Verweisungsstrukturen unterschiedlicher Einrichtungen gestärkt werden: Die narrativen Landkarten im Gesamtprojekt (siehe auch Skowranek, Schultz-Edwards & Kulmus, 2025; Kulmus, 2025b) zeigen die Vielfalt von Orten, an denen ältere Menschen sich aufhalten. Dazu gehören neben Bürgerzentren mit ihren vielfältigen Bildungs-, Beratungs- und Engagementmöglichkeiten auch Seniorentreffs und interkulturelle Begegnungsstätten, Bildungseinrichtungen inklusive Universitäten des 3. Lebensalters, Theater, Museen, Stiftungen mit ihren Vortragsangeboten, aber auch Einkaufszentren und Ärztehäuser, Parks und Naherholungsgebiete. Sie alle stellen Orte des alltäglichen Lebens im Alter dar. Eine offene Frage ist, wie diese Orte auch für die professionelle Unterstützung von expansivem Lernen erschlossen werden könnten. Mit Blick auf altersfreundliche Städte wird damit auch deutlich, dass eine Sensibilität für Lern- und Engagementmöglichkeiten einen hohen Stellenwert in der Stadtgestaltung bekommen sollte.
Abschliessend zeigt sich, wie nah beieinander Lernen in einem expansiven, lebensentfaltenden Verständnis und die Übernahme von Verantwortung liegen können. Die Entpflichtung im Ruhestand birgt grosse Handlungsfreiheiten, aber zugleich die Gefahr von Isolation, Einsamkeit und auch «Narrenfreiheit», wenn sich ein Gefühl der Bedeutungslosigkeit einstellt. Angesichts der in den nächsten Jahrzehnten nachfolgenden Generationen Älterer, die als relativ gesund und gut gebildet gelten und auch oft über gute finanzielle Ressourcen verfügen (Brink, 2023), liegt in dem Gestaltungsanspruch und der Bereitschaft, etwas beizutragen und Verantwortung zu übernehmen für das lokale Umfeld und die Bedürfnisse (älterer und jüngerer) Mitmenschen, ein grosses Potenzial für Gesellschaften des langen Lebens und Lernens, in denen wir uns längst befinden.
- In der Schweiz gehören bspw. Bern und Luzern dem WHO-Netzwerk an. Die Verbindung von Ageing Societies und Stadtgestaltung wird insgesamt schon seit Längerem diskutiert. https://www.swissinfo.ch/eng/aging-society/cities-face-challenge-of-an-age-old-problem/34118508.
Literatur
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