28.11.2023
N°2 2023

Strategische Steuerung und Kooperation – Potenzial für die Schweizer Weiterbildungspolitik

Die Schweiz verfügt weder über eine nationale Weiterbildungsstrategie noch über eine Governance-Struktur, in welcher auf nationaler Ebene strategische Entscheide vorbereitet werden können. Dies führt zu einer Weiterbildungspolitik, in welcher kaum Zielsetzungen und Prioritäten auszumachen sind. Problemstellungen, die teils bereits seit Jahrzehnten bestehen, werden nicht angegangen. Der folgende Beitrag argumentiert, dass dies unter anderem auf eine fehlende Steuerungskooperation zurückzuführen ist. Ein wichtiger Grund dafür ist paradoxerweise das Weiterbildungsgesetz. Um den Mangel an strategischer Steuerung zu überwinden, sollte ein Koordinationsgremium geschaffen werden, in das alle relevanten Akteure der Weiterbildung einbezogen werden.

Der Ministerrat der EU hat im November 2021 die neue Europäische Agenda für Erwachsenenbildung verabschiedet (EU-Kommission, 2023). Mit der Agenda werden die inhaltlichen Prioritäten europäischer Weiterbildungspolitik für die Jahre 2021 bis 2030 definiert. Als konkretes Ziel sollen bis 2030 mindestens 60% der Erwachsenen zwischen 25 und 64 Jahren innerhalb eines Jahres an Weiterbildung teilgenommen haben. Die Umsetzung der Agenda wird laufend überprüft und sie ist nur eine von mehreren aktuellen Initiativen der EU zur Förderung der Weiterbildung. Erst im Herbst 2022 wurde das Jahr 2023 zum Europäischen Jahr der Kompetenzen ausgerufen.

Aus der Schweizer Perspektive blickt man mit einigem Erstaunen nach Brüssel. Denn während die EU eine aktive, offensive Weiterbildungspolitik mit klaren Zielen betreibt, bleiben die Zielsetzungen und Prioritäten der Schweizer Weiterbildungspolitik weitgehend unklar. Es existiert weder eine nationale Weiterbildungsstrategie noch ein Ort, an welchem mit den Akteuren des Weiterbildungsfelds strategische Entscheide vorbereitet werden können. Damit fehlt es an einer angemessenen Steuerungskooperation, das heisst, der Kooperation von Bund und Kantonen mit den Akteuren des Weiterbildungsfelds zur Erarbeitung einer nationalen Weiterbildungsstrategie. Die Suche nach den Gründen für die fehlende Steuerungskooperation führt zum Weiterbildungsgesetz (WeBiG), welches seit 2017 die Rahmenbedingungen für die Weiterbildung regelt.

Keine Governance im WeBiG



Im Gegensatz zur beruflichen Grundbildung, der Höheren Berufsbildung sowie der Hochschulbildung ist die Weiterbildung in der Schweiz kaum reguliert. Das Weiterbildungsgesetz (WeBiG) ordnet die Weiterbildung zwar in den Bildungsraum ein, als äusserst liberales Gesetz verzichtet es jedoch auf eine Formalisierung oder Strukturierung des Bereichs. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Weiterbildung in der Schweiz ein vorwiegend privater Markt ist, welcher durch einen sehr starken Wettbewerb zwischen den Anbietern gekennzeichnet ist. Dieser Wettbewerb ist ein Erfolgsfaktor für das Weiterbildungsfeld: Er führt zu einem flexiblen, qualitiv hochstehenden und breiten Angebot, das sich rasch an die Bedürfnisse der Nachfrage (insbesondere auch der Unternehmen) anpassen kann. Zudem wird von den Anbietern der Aspekt der Qualitätssicherung hoch gewichtet, was nicht zuletzt zu einem hohen Professionalisierungsgrad im Weiterbildungsfeld führt.

Bei der Erarbeitung des WeBiG war es ein politischer Konsens, den Wettbewerb als zentralen Grundsatz festzuschreiben (Art. 9 WeBiG). Der Staat übernimmt in der Weiterbildung lediglich eine subsidiäre Rolle. Er kann zwar die Weiterbildung fördern, die Förderung darf aber den Wettbewerb nicht beeinträchtigen. Scheinbar als logische Konsequenz dieses liberalen Grundsatzes wurde explizit darauf verzichtet, mit dem Gesetz eine Governance-Struktur zur strategischen Steuerung und Koordination des Weiterbildungsbereichs einzuführen. Das Hauptargument lautete: Wozu braucht es strategische Steuerung und Koordination, wenn der Weiterbildungsmarkt so effizient arbeitet?1 Die Tatsache, dass der private Weiterbildungsmarkt zahlreiche Herausforderungen und strukturelle Problemstellungen nicht selbst löst, wurde beiseite geschoben.

Kooperationsformen und -gefässe 



Gemessen an internationalen Standards schreiben Bund und Kantone dem Einbezug der nichtstaatlichen Akteure bspw. über thematische Arbeitsgruppen oder regelmässige Einladungen zu Austauschtreffen einen hohen Stellenwert zu. Gerade die Organisationen der Weiterbildung, zu denen der SVEB als Dachverband gehört, werden regelmässig involviert und verfügen über gefestigte Kooperationen mit Bundesämtern und Kantonen.

Gemäss dem WeBiG ist der Bund zudem verpflichtet, statistische Daten zur Weiterbildung zu erheben und mit den Kantonen sowie den massgeblich betroffenen Kreisen der Weiterbildung einen Dialog zum Monitoring zu führen (Art. 18 und 19 WeBiG). Auf dieser Grundlage organisiert das für das WeBiG verantwortliche Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) jährlich einen informellen Austausch. Dazu eingeladen werden die Bundesämter, die im Bereich der Weiterbildung eine Rolle übernehmen, die Kantone, die Sozialpartner, die Dachverbände der Weiterbildung, einzelne Anbieter sowie Vertreterinnen und Vertreter aus der Wissenschaft.

Neben diesem «Dialog» existieren in der Weiterbildung mehrere weitere Kooperationsgefässe und -formen zwischen den Akteuren des Bereichs. Die Kantone verfügen mit der Interkantonalen Konferenz für Weiterbildung (IKW) über ein eigenes Koordinationsgremium. Als Fachkonferenz für Weiterbildung treffen sich die Verantwortlichen der Kantone für Weiterbildung halbjährlich zum Austausch sowie zur Koordination der Aktivitäten. Auf Bundesebene befasst sich die nationale Interinstitutionelle Zusammenarbeit (IIZ) mit den Schnittstellen zwischen Arbeitslosenversicherung, Invalidenversicherung, Sozialhilfe, Integrationsförderung sowie der Berufsbildung. Teils werden in der IIZ auch Fragen zur Förderung der Weiterbildung besprochen.

Im Teilbereich der Förderung der Grundkompetenzen Erwachsener, der neu über das WeBiG reguliert wird, existiert seit Ende 2021 eine «Koordinationsgruppe Grundkompetenzen» (KGGK). In dieser werden die fachlichen und strategischen Themen im Bereich der Grundkompetenzen diskutiert. In der KGGK vertreten sind der Bund, die Kantone, die Sozialpartner sowie die Dachverbände der Weiterbildung, die im Bereich der Grundkompetenzen engagiert sind. Die KGGK hat dabei rein konsultativen Charakter. Die Entscheide zur Ausrichtung der Förderung der Grundkompetenzen treffen Bund und Kantone bilateral und halten diese in einem Grundsatzpapier fest, das jeweils für vier Jahre gültig ist.

In der Berufsbildung übernimmt seit 2021 die Tripartite Berufsbildungskonferenz (TBBK) eine Koordinations- und Steuerungsfunktion. In der TBBK vertreten sind Bund, Kantone sowie die Sozialpartner. Auf Grundlage des Berufsbildungsgesetzes, welches auch die berufsorientierte Weiterbildung regelt, wäre die TBBK grundsätzlich auch für den Bereich der berufsorientierten Weiterbildung zuständig. Ein Blick auf die Arbeit der Konferenz in den ersten beiden Jahren zeigt jedoch, dass die nonformale Weiterbildung kaum thematisiert wurde. Der Fokus liegt klar auf der beruflichen Grundbildung sowie der Höheren Berufsbildung.

Mangel an strategischer Steuerung

Trotz dieser zahlreichen Austausch- und Kooperationsgefässe muss festgestellt werden, dass die Schweiz über keine Governance-Struktur für den Gesamtbereich der Weiterbildung verfügt, welche eine zielgerichtete und strategische Steuerung ermöglichen würde. Als Folge davon bleibt die nationale Weiterbildungspolitik in der Schweiz kaum greifbar. So ist keine nationale Strategie mit messbaren Zielen auszumachen. Einzig die Botschaft des Bundesrats zur Förderung der Bildung, Forschung und Innovation (BFI-Botschaft), welche die Rahmenbedingungen für die Bildungsfinanzierung des Bundes für jeweils vier Jahre vorgibt, liefert Hinweise darauf, welche Ziele der Bund in der Weiterbildung verfolgt. Im Entwurf der BFI-Botschaft für die Periode 2025–2028, der derzeit in der Vernehmlassung ist, sind der Weiterbildung lediglich 4 von 122 Seiten gewidmet.

Selten trat der Bedarf an mehr strategischer Steuerung und Koordination in der Weiterbildung deutlicher zu Tage wie am letzten «Dialog der Weiterbildung», der im Frühjahr 2021 stattfand. Zum Schluss der Veranstaltung präsentierte das SBFI die neuesten Zahlen zur Weiterbildungsteilnahme, die den massiven Einbruch aufgrund der Corona-Pandemie aufzeigten. Die Disparität der Teilnahme, also der Unterschied der Teilnahme zwischen Gutqualifizierten und Geringqualifizierten, hatte sich zudem nochmals stark vergrössert (BFS 2021). Nach einer lediglich kurzen Diskussion blieben vor allem offene Fragen: Was für volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen hat dieser Einbruch? Welche Strategie sollte verfolgt werden, um die Weiterbildungsnachfrage zu stärken? Welche Massnahmen sind notwendig und welche Prioritäten werden gesetzt? Und welche Akteure übernehmen welche Aufgaben? Eine Folgeveranstaltung fand nicht statt und so sind auch zwei Jahre nach dem letzten «Dialog» diese Fragen nicht beantwortet. Dies obwohl der Handlungsbedarf gross ist; denn die Zahlen des BFS und des SVEB zeigen, dass sich die Weiterbildungsteilnahme nur sehr langsam erholt (BFS 2023, SVEB 2022 und 2023).

Das Beispiel zeigt exemplarisch, wie der aktuelle Mangel an strategischer Steuerung und Koordination zu einer passiven Weiterbildungspolitik führt. Aktuelle Problemstellungen wie die Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie sowie strukturelle Herausforderungen wie die im europäischen Vergleich rekordhohe Disparität der Weiterbildungsteilnahme (SKBF 2023) oder die fehlende Anerkennung von Weiterbildungsabschlüssen werden nicht resp. nicht zielgerichtet angegangen. Ein Vergleich zur deutlich aktiveren Weiterbildungspolitik der EU zeigt zudem, dass die Schweiz das Potenzial (oder in den Worten der UNESCO die transformative Kraft) der Weiterbildung zur Lösung von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen, etwa zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung, der Gesundheit sowie der gesellschaftlichen und politischen Beteiligung, nur ungenügend nutzt.

Es braucht eine nationale Weiterbildungsstrategie

Um diese Herausforderungen anzugehen, braucht es eine nationale Weiterbildungsstrategie. Diese sollte zunächst aufzeigen, in welchem Kontext sich die Weiterbildung in der Schweiz derzeit bewegt, welche Herausforderungen und Problemstellungen sich ergeben und welche Potenziale durch die Förderung der Weiterbildung ausgeschöpft werden sollen. Basierend darauf sollten für eine Periode von bspw. sechs Jahren messbare Zielsetzungen und Prioritäten abgeleitet und schliesslich aufgezeigt werden, mit welchen Massnahmen die Ziele erreicht werden können.

Die Entwicklung einer nationalen Weiterbildungsstrategie bedarf eines Strategieprozesses, der unter der Leitung des Bundes resp. des SBFI die relevanten Akteure als Kooperationspartner adäquat einbezieht: die Kantone, die Sozialpartner und auch die zentralen Akteure der Weiterbildungsbranche sowie die Wissenschaft. Dafür sollte ein Koordinationsgremium geschaffen werden, das sich regelmässig trifft. Das Gremium kann nach der Verabschiedung der Strategie genutzt werden, um die Umsetzung der Strategie zu begleiten, Koordinationsfragen zu klären und Synergien zu nutzen. Es wird damit zum Reflexionsort, an dem ein fachlicher und strategischer Diskurs zur Entwicklung des Weiterbildungssystems stattfinden kann.

Es ist davon auszugehen, dass bereits die Entwicklung einer nationalen Weiterbildungsstrategie inklusive einer adäquaten Gremienstruktur zu einer aktiveren Weiterbildungspolitik führt. Neben dem Vorteil, dass die Strategie klare, mit den relevanten Akteuren abgestimmte Zielvorgaben und Prioritäten setzt, kann die Strategie auch genutzt werden, um offensiver zu kommunizieren. Eine nationale Strategie ist immer auch ein Werkzeug zur politischen Positionierung. Für die Weiterbildung in der Schweiz, die mit dem Weiterbildungsgesetz seit sechs Jahren eine rechtliche Basis erhalten hat, ist dies der nächste wichtige Meilenstein.

  1. Mit dem gleichen Argument wurde über Jahre die Notwendigkeit eines Gesetzes bestritten.

Literatur

EU Kommission (2023): Initiativen im Bereich der Erwachsenenbildung. Abgerufen: https://education.ec.europa.eu/de/education-levels/adult-learning/adult-learning-initiatives [Stand: 21.8.23].

BFS (2023): Teilnahme an Weiterbildung – Daten des Indikators aus der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung. Abgerufen: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bildung-wissenschaft/bildungsindikatoren/themen/zugang-und-teilnahme/weiterbildungsteilnahme.assetdetail.24485159.html [Stand: 21.8.23].

BFS (2021): Teilnahme an Weiterbildung während der Covid-19-Pandemie. Neuchâtel: BFS.

Bundesgesetz über die Weiterbildung (WeBiG), Stand 1. Januar 2017. Abgerufen: https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2016/132/de [Stand: 21.8.23].

Poopalapillai, S., & Buchs, H. (2023): SVEB Branchenmonitor 2023. Optimistische Erwartungen bei verstärktem Wettbewerb. Zürich: SVEB.

Poopalapillai, S., & Sgier, I. (2022): SVEB Branchenmonitor 2022. Positive Erwartungen trotz unsicherer Wirtschaftslage. Zürich: SVEB.

Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung SKBF (2023): Bildungsbericht Schweiz 2023. Aarau: SKBF.