23.05.2023
N°1 2023

Literatur

Am 7. März 2023 ist die vierte Ausgabe des Bildungsberichts Schweiz erschienen. Der von der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung SKBF herausgegebene Bericht vermittelt Informationen zum gesamten Bildungswesen der Schweiz. Er ist nach Bildungsstufen aufgebaut und orientiert sich entlang der Kriterien Effizienz, Effektivität und Chancengerechtigkeit (Equity).

Neben der obligatorischen Schule, der Sekundarstufe II und der Tertiärstufe ist auch der Weiterbildung ein Kapitel gewidmet. Darin wird deutlich, dass der Weiterbildung angesichts des technologischen und gesellschaftlichen Wandels eine zunehmende Rolle zukommt. Ein grosser Teil der Weiterbildungsaktivität in der Schweiz ist denn auch beruflich motiviert (87%), was u.a. mit der hohen Dynamik des Schweizer Arbeitsmarktes erklärt wird. 

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern weist die Schweiz eine sehr hohe Weiterbildungsquote auf. Dies lässt sich mit der starken Wirtschaftsleistung der Schweiz in Zusammenhang bringen. Gleichzeitig ist die Weiterbildungsteilnahme von Geringqualifizierten besonders tief. Das bedeutet, dass Personen ohne nachobligatorischen Abschluss bisher nur begrenzt von der insgesamt sehr hohen Weiterbildungsaktivität profitieren können.

Der Bildungsbericht Schweiz wird seit 2010 alle vier Jahre von der SKBF erstellt. Aufgrund der zusätzlichen Zeit bis zur Erscheinung konnte die SKBF in dieser Ausgabe kurzfristige Auswirkungen der Pandemie in die Analysen miteinbeziehen. Daten von 2020 wurden mit jenen aus dem Vorjahr und dem nachfolgenden Jahr verglichen und ermöglichten somit Aussagen über die tatsächlichen Auswirkungen der Pandemie.

Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung SKBF (2023): Bildungsbericht Schweiz 2023. Aarau: SKBF


Die Gesellschaft der Singularitäten

Mit dem Anspruch, eine Theorie der Moderne zu entwerfen, analysiert Andreas Reckwitz einen gesellschaftlichen Prozess, den er als Singularisierung bezeichnet. Dieser Prozess setzt sich, so die These, zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Ökonomie, Arbeitswelt, digitaler Technologie, Lebensstilen und Politik durch. Die alte, in der Moderne dominante Logik des Allgemeinen verliert in dem Mass an Terrain, als sich eine neue Logik des Besonderen etabliert. Dabei gerät das Allgemeine und Standardisierte zunehmend unter Konformitätsverdacht. Gefragt ist nicht mehr der Durchschnittsmensch mit seinem Durchschnittsleben, sondern das authentische Subjekt, das originelle Interessen und eine kuratierte Biografie vorzuweisen hat.

Diese Bedeutungsverschiebung hin zum Singulären, Besonderen, Einzigartigen betrifft nicht nur das Individuum und dessen Lebensstile, sondern auch Güter, Städte, Communities und vieles mehr: Spätmoderne Gesellschaften feiern, so Reckwitz, überall das Singuläre, Unverwechselbare – bis hin zur «Explosion des Besonderen». Diese Entwicklung entfaltet eine widersprüchliche Dynamik, denn die spätmoderne Gesellschaft der Singularitäten produziert ihre ganz eigenen Ungereimtheiten und Ungleichheiten. Sie stellt die gesellschaftliche Relation zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen radikal auf den Kopf, erschüttert Grundstrukturen und Gewissheiten und führt so zu mannigfaltigen Krisen. Von der Idee einer rationalen Ordnung, einer egalitären Gesellschaft oder einer balancierten Persönlichkeitsstruktur müsste man sich gemäss dieser Analyse verabschieden, denn solche Ideen sind, so Reckwitz, «pure Nostalgie».

Andreas Reckwitz (2017): Die Gesellschaft der Singularitäten. Berlin: Suhrkamp


Von der Berufswahl zur Lebensgestaltung. Laufbahnberatung im Zeitalter der Ungewissheit

Nach seinem Buch «La carrière professionnelle 4.0», das sich mit den wichtigsten Trends und Entwicklungen in der Arbeits- und Ausbildungswelt befasst, widmet sich Grégoire Evéquoz nun den Auswirkungen dieser Veränderungen auf die betroffenen Personen. Angesichts des Verlusts der gewohnten Bezugspunkte, auf die sich die Menschen bei der Planung ihrer Zukunft stützten, und der daraus resultierenden Unsicherheiten stellt sich der Autor die Frage, wie Laufbahnberaterinnen und ‑berater Jugendliche und Erwachsene bei der Gestaltung ihrer Zukunft unterstützen können.

Für ein besseres Verständnis der Sorgen und Unsicherheiten angesichts der aktuellen Veränderungen – insbesondere in Bezug auf die technologischen Entwicklungen – skizziert der Autor zunächst in groben Zügen die Entwicklung verschiedener Modelle und Denkweisen. Danach beschreibt er, was aus seiner Sicht die neuen Normen, Trends, Werte und Bestrebungen in Bezug auf Ausbildung und Beschäftigung sind. Schliesslich werden anhand von sechs Lebenskompetenzen verschiedene Lösungsansätze aufgezeigt, damit sich Privatpersonen sowie Personen, die andere beraten und begleiten, in den Unwägbarkeiten der heutigen Welt zurechtfinden und vorankommen können.

Grégoire Evéquoz (2022): Du choix d’un métier à la construction de sa vie. L’accompagnement à l’ère des incertitudes. Lyon: Chronique sociale. 

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