28.11.2023
N°2 2023

Partnerschaft zwischen Forschung und Praxis zur Förderung der digitalen Bildung

Das digitale Bildungsprojekt des Kantons Waadt (2018–2022), in dem es um die Ausbildung von Lehrkräften für den neuen digitalen Lehrplan der Westschweiz geht, macht deutlich, wie wichtig eine Partnerschaft zwischen Forschung und Praxis ist. Dieser Artikel beschreibt einerseits, wie Personen aus der Forschung und der Praxis in diesem gross angelegten Projekt zusammenarbeiteten, um ein sogenanntes Kaskadenmodell für die Weiterbildung zu etablieren. Andererseits wird aufgezeigt, wie dieses Modell, vor allem durch eine gründliche Evaluierung im Sinne einer kontinuierlichen Verbesserung, für einen stetigen Austausch und Wissenstransfer zwischen den Lehrkräften und den ausbildenden Lehrpersonen (Teacher Training Teachers, TTT) sorgte.

Wenn wir nach Beispielen für Kooperationen im Bildungsbereich suchen, stossen wir rasch auf Projekte, in denen Bildungseinrichtungen mit öffentlichen Stellen oder Unternehmen, eventuell sogar mit EdTech-Startups, zusammenarbeiten. Kooperationen zwischen Bildungseinrichtungen und Akteuren aus der Forschung sind dagegen seltener. In diesem Artikel zeigen wir, dass die Forschung bei der Umsetzung neuer Bildungsmassnahmen von Nutzen sein kann, und schlagen den Akteuren der beruflichen Weiterbildung vor, Forschende als potenzielle Kooperationspartnerinnen und ‑partner zu betrachten. Denn die Forschenden können bei der Gestaltung, Begleitung und Dokumentation ihrer Bildungsprojekte Unterstützung bieten.

Dieser Ansatz erweist sich gerade im Zusammenhang mit der digitalen Transformation und ihren Auswirkungen auf die Bildung als besonders interessant. Daher stellen wir diesen anhand des Reformprojekts «EduNum» («Digitale Bildung») vor, bei dem auch das LEARN-Center der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne EPFL von August 2018 bis Dezember 2022 beteiligt war. Mit diesem Projekt waren zahlreiche Herausforderungen verbunden, wie etwa die Erstellung von Kompetenzrahmen, die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien, die auf die einzelnen Schulstufen abgestimmt sind, und die Notwendigkeit, die verschiedenen Zielgruppen von der Zweckmässigkeit der Einführung der Inhalte bereits im Vorschulalter zu überzeugen. Schliesslich mobilisiert diese Reform im Kanton mehr als 10’000 Lehrkräfte und etwa 300 Ansprechpersonen, die die Klassen begleiten, sowie ein Team aus etwa 30 Lehrkräften, die als Ausbilderinnen und Ausbilder («Teacher Training Teachers») die Weiterbildungen durchführten.

Partnerschaftliches Konzept für die Kooperation von Forschung und Praxis im EduNum-Projekt

Hintergrund von EduNum

Sämtliche Akteure des Bildungssystems, von der Grundschule bis zur Weiterbildung, sind mit der Digitalisierung konfrontiert. Es gibt viele neue Projekte und Reformen in allen Kantonen und auf allen Ebenen. In diesem Zusammenhang hat das Departement für Bildung des Kantons Waadt 2017 sein Reformprojekt EduNum gestartet, bei dem drei Hochschulen – die Pädagogische Hochschule des Kantons Waadt (HEP Vaud), die Universität Lausanne (UNIL) und die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne EPFL – zusammenarbeiten, um sich des Themas in all seiner Komplexität (technologische, pädagogische, didaktische, soziologische Aspekte usw.) anzunehmen. Das erstellte Lehrmaterial und die Weiterbildung der Lehrenden zielten darauf ab, die Schülerinnen und Schüler, die digitalen Bürgerinnen und Bürger von morgen, in den drei Säulen der digitalen Bildung (Computerwissenschaft, Nutzung und Medien) zu qualifizieren.

Mit EduNum wurde ein pilotbasierter Ansatz verfolgt. Konkret erfolgte, ausgehend vom Stand der Forschung, an zwölf Pilotschulen eine iterative Formalisierung (El-Hamamsy et al., 2021), bevor die Reform, begleitet von empirischer Forschung, auf kantonaler Ebene auf die übrigen 71 Schulen ausgedehnt wurde. In Zusammenarbeit mit den anderen Partnern leitete das LEARN-Center der EPFL einen Teil des Projekts, der Folgendes umfasste: (1) Entwicklung von Lehrmaterialien, Konzeption und Durchführung der Weiterbildungen für Lehrende; (2) Messung der Qualität und Wirksamkeit dieser Weiterbildungen, um das System vor der Einführung in anderen Schulen anzupassen und somit die Ausweitung der berufsbegleitenden Weiterbildung zu ermöglichen. Möglich wurde diese Herangehensweise durch eine Partnerschaft zwischen Forschung und Praxis, die die Einbeziehung von Personen aus der Praxis erlaubt – ein gut dokumentierter Erfolgsfaktor bei Reformprojekten im Bereich der digitalen Bildung.

Von den ersten Projektaktivitäten an erwies sich die Notwendigkeit einer Kooperation mit der Wissenschaft in verschiedenen Bereichen des Projekts als unerlässlich. Im Rahmen der Pilotphase war es nämlich notwendig, mit Expertinnen und Experten für digitale Bildung zusammenzuarbeiten, um relevante, mit den bekannten Kompetenzrahmen übereinstimmende Bildungsinhalte zu erstellen, Beispiele für Stärken und Schwächen der durchgeführten Weiterbildungen zu sammeln, aber auch zu überlegen, wie diese Weiterbildungen grossflächig an die Lehrkräfte weitergegeben werden können. Zur Koordinierung der Pilotmassnahmen zwischen den Akteuren der Partnerschaft aus Forschung und Praxis wurden verschiedene Arbeitsgruppen gebildet.

Gemeinsamer Aufbau einer Forschung-Praxis-Partnerschaft

Eine Partnerschaft zwischen Forschung und Praxis hilft, Inkonsistenzen und Unzulänglichkeiten einer Reform während der Umsetzung zu vermeiden (Coburn und Penuel, 2016). Sie zeichnet sich durch die kontinuierliche Kollaboration zwischen der Welt der Wissenschaft und jener der Bildung aus, die auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet ist. Im EduNum-Projekt war dieses gemeinsame Ziel die Integration der digitalen Bildung in allen Schulstufen. Die Vielfalt der beteiligten Akteure spiegelt die typische Komplexität eines Digitalisierungsprojekts: Ausbildende, das Redaktionsteam der Lehrmittel, die Lehrkräfte der Pilotschulen (Teilnehmende der EduNum-Weiterbildung) und ihre Schulleitungen, die «Ansprechpersonen» (eigens freigestellte Lehrkräfte, die ihre Kolleginnen und Kollegen bei der Umsetzung der digitalen Bildung in ihren Schulen unterstützten) und schliesslich die Schülerinnen und Schüler. In diesem komplexen Ökosystem arbeiten Personen aus Wissenschaft und Forschung mit den genannten Akteuren zusammen, damit die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse in die verschiedenen Bereiche des Projekts einfliessen können.

Zur Umsetzung dieser Partnerschaft hat sich das Forschungsteam des LEARN-Centers auf verschiedene Themenbereiche konzentriert, z.B. die Weiterbildungen und deren Begleitung bzw. Nachbearbeitung, die Untersuchung der Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler in Bezug auf das neue Fach, die Rolle und die sich verändernde Rolle der Ansprechpersonen und Schulleitungen sowie die empirischen Tests der umgesetzten Massnahmen. Die Einführung eines sogenannten Kaskadenmodells, auf das im zweiten Teil dieses Artikels eingegangen wird, veranschaulicht diesen Prozess. Der Prozess ermöglichte es den Forscherinnen und Forschern, die Relevanz des Modells zu erhöhen, indem sie sich sowohl auf die wissenschaftliche Literatur als auch auf eine grundlegende Evaluierung der Weiterbildung stützten.

Die Forscherinnen und Forscher profitierten von zeitlichen und logistischen Bedingungen, die es ihnen trotz einiger Einschränkungen ermöglichten, das im Rahmen des EduNum-Projekts erprobte Modell der Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis zu systematisieren. In der Folge nun die wichtigsten Kerninformationen zu diesem Modell:

  • Weiterbildungsagenda: Innerhalb von vier Jahren wurden rund 800 Weiterbildungstage für verschiedene Zielgruppen (Schulleitungen, Ansprechpersonen, Lehrpersonen inner- und ausserhalb der Pilotphase, Ausbildende) durchgeführt und vom Forschungsteam evaluiert. Dies bot einen soliden zeitlichen Rahmen, aber auch die Möglichkeit, die Forschungsfragen im Laufe der verschiedenen Versuche anzupassen, zu präzisieren und neu zu bewerten.
  • Durchmischtes Team: Das LEARN-Center ist einzigartig, da es in einer Einrichtung Fachleute aus der Praxis mit Forschenden zusammenbrachte, die von der Nähe des Feldzugangs und dem erleichterten Zugang zur Zielgruppe profitierten.
  • Ergebnisse, die kommuniziert werden sollten: Die Pilotphase zielte darauf ab, Empfehlungen an die verschiedenen Instanzen des Projekts weiterzuleiten. Dank der systematischen Messungen nach jeder Weiterbildungseinheit wurden zahlreiche Daten gesammelt, analysiert und in Form von nicht vollständigen Jahresberichten übermittelt1. Diese Empfehlungen ermöglichten es, das Pilotprojekt zu adaptieren, aber auch Herausforderungen und Hindernisse für das Rollout zu identifizieren und zu antizipieren und so den Einsatz der auf Departementsebene investierten Ressourcen zu optimieren.
  • Skalierungsbedarf: Die Grösse des Projekts (von 350 Lehrkräften zu Beginn des Schuljahres 2018 erfolgte mit der ersten Erweiterungsphase ein Anstieg auf 1600 Lehrkräfte zu Beginn des Schuljahres 2021) erforderte sehr schnell ein Scale-up bei der Datenerhebung. Auf Grundlage des Datenmanagements entwickelten die Forscherinnen und Forscher Tools, die das Sammeln, aber auch die Visualisierung der Ergebnisse erleichtern sollten. Diese führten dann zur Erstellung einer eigenen Webplattform: The Digital Training Companion2

Umsetzung der Partnerschaft zwischen Forschung und Praxis mithilfe des Kaskadenmodells 

Die Ausweitung der Weiterbildungen nach der Pilotphase mit der Aufnahme von 71 zusätzlichen Bildungseinrichtungen erforderte eine entsprechende Strukturierung der Weiterbildungen, die eine Skalierung ermöglichte. Denn für die Ausbilderinnen und Ausbilder der Pilotphase war es nicht mehr möglich, eine so grosse Anzahl von Lehrenden weiterzubilden. Auf der Grundlage früherer Felderfahrungen schlugen die ursprünglich an der Pilotphase beteiligten Ausbildenden die Einführung eines Modells vor, das darauf abzielt, die Lehrkräfte voll und ganz an ihrer Reform teilhaben zu lassen, indem sie selber zu «Teacher Training Teachers» (TTT), also zu Ausbildenden werden, die andere Lehrpersonen ausbilden. Gestützt auf die wissenschaftliche Literatur (El-Hamamsy et al., 2023) wurde bereits am Ende des ersten Jahres ein sogenanntes Kaskadenmodell in Zusammenarbeit mit dem Forschungsteam entworfen und während der Umsetzung untersucht3 (Monnier et al., 2023).

Für die bisherigen Ausbildenden sowie die ursprünglichen konzeptuellen Projektleiterinnen und -leiter ging es darum, ihre Erfahrungen, Entscheidungen und Beschlüsse sowie ihre Ressourcen zu teilen und an die TTT weiterzugeben bzw. diese während der Ausbildungsphasen vor Ort zu unterstützen. Diese Methode hat den Vorteil, dass eine gross angelegte Weiterbildung (etwa 6000 Lehrende sollen letztendlich an der Weiterbildung teilnehmen) innerhalb eines angemessenen Zeitraums gewährleistet ist. Ausserdem haben die TTT durch ihre Verankerung im Unterricht die Möglichkeit, die Weiterbildung möglichst nah an der Realität des Klassenzimmers durchzuführen. Denn in der Regel erproben die Lehrpersonen die Grundsätze der Reform bereits mit ihren Schülerinnen und Schülern, aber erst im Zuge der Weiterbildung geben sie sie an ihre Kolleginnen und Kollegen weiter. Wie die Forschenden anschliessend aufzeigen konnten, hat diese Doppelrolle viele Vorteile, kann aber auch Anlass zu Schwierigkeiten und Zweifeln geben (Monnier et al., 2023).

Von der Pilotphase zum Rollout: Weitergabe der Weiterbildungen 

Lehrpersonen wurden aufgerufen, sich als TTT zu bewerben. Für den ersten Zyklus wurden aus den 70 eingegangenen Bewerbungen 16 Personen ausgewählt, die für sechs Zeiträume (einen Tag pro Woche) freigestellt wurden. Ursprünglich sah ihre Weiterbildung 23 Tage an der EPFL mit dem Team der bisherigen Ausbildenden und 15 Tage vor Ort im Zuge der Weiterbildungstage mit ihren Kolleginnen und Kollegen vor.

Die Durchführung dieser Weiterbildungen war aus mehreren Gründen relativ komplex:

  • Die Weiterbildungen setzen die Beherrschung digitaler Werkzeuge voraus und erfordern das Demonstrieren, aber auch das Lösen technischer Probleme.
  • Die vermittelten Informatik-Konzepte sind neu, weshalb kein Wissen vorausgesetzt werden kann.
  • Digitale Bildung stösst häufig auf Vorbehalte oder gar Ablehnung; es wird argumentiert, dass man möglichst auf den Computer und die Arbeit am Bildschirm verzichten möchte, und auch die Arbeitsüberlastung, überfüllte Lehrpläne und das Argument, dass Bildung und Erziehung verschwimmen, insbesondere bei Themen, die eng mit Gewohnheiten in der Familie zu tun haben, werden aufgeführt.
  • Die verpflichtende Teilnahme der Lehrpersonen an Weiterbildungen kann ein Klima latenter Ablehnung schaffen. 

Aufgrund der COVID-Krise wurde das ursprüngliche Programm geändert und die Anzahl der Einheiten in den Bildungsseinrichtungen reduziert; für die Aneignung der Inhalte brachte das eine willkommene Zeitersparnis. Im darauffolgenden Jahr gab es überwiegend Praxistage vor Ort. Die bisherigen Ausbildenden behielten inhaltsbezogene und kompetenzvertiefende Weiterbildungszeiten bei. Schliesslich führten sie parallel zu den Weiterbildungstagen eine regelmässige individuelle und kollektive Nachbetreuung ein.

Monitoring: Unverzichtbar für den Transitionsprozess 

Um die Wirksamkeit der von den TTT durchgeführten Weiterbildungen zu gewährleisten, war es von entscheidender Bedeutung, Daten zu erheben, die über die Zufriedenheit mit der Weiterbildung hinausgehen. Denn die Zufriedenheit nach einer Weiterbildung sagt in der Regel nichts über die tatsächliche Anwendung der Inhalte in der Praxis aus. Es hat sich gezeigt, dass 100% Zufriedenheit im Durchschnitt zu 30% konkreter Umsetzung der Lerninhalte führt (interner Bericht, EPFL). Inwieweit die Zufriedenheit der Lehrpersonen tatsächlich zu einer Verhaltensänderung in der Klasse führt, hängt aber auch von anderen Faktoren ab, etwa von organisatorischen Voraussetzungen (z.B. geeignetes Material, ausreichend Zeit zum Testen der Ressourcen, Unterstützung durch Ansprechpersonen in der Schule) (Avry et al., 2023). Die blosse Zufriedenheit mit der Weiterbildung war also kein ausreichender Indikator dafür, dass die TTT über alle Informationen verfügten, die sie zur Verbesserung ihrer Weiterbildungen benötigten.

Die Forscherinnen und Forscher schlugen daraufhin die Anpassung und Verwendung des Modells von Guskey vor (Guskey, 2016). Dieses Modell mit mehreren Bewertungsebenen4 ermöglicht es, die Auswirkungen der beruflichen Entwicklung von Lehrkräften im Bereich der digitalen Bildung zu dokumentieren, indem folgende Aspekte miteinander verknüpft werden:

  • die Eigenschaften der Lehrpersonen, die eine Weiterbildung erhalten (Motivation, Einstellungen und Selbstwirksamkeit in Bezug auf die Technologie)
  • die Merkmale der Weiterbildung durch die TTT (Umfeld und pädagogischer Ansatz, Leistung des Weiterbildungsteams)
  • die unmittelbaren Reaktionen der Lehrpersonen (Interesse an den vorgeschlagenen Ressourcen, wahrgenommene Nützlichkeit, Benutzerfreundlichkeit, Absicht, die Ressourcen zu nutzen)
  • die erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten
  • die organisatorischen Voraussetzungen, die den Einsatz der in der Weiterbildung vorgeschlagenen Ressourcen vor Ort ermöglichen (Mittel und Ausstattung, Zeitbudget, Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzte)
  • Verhaltensänderungen (Übernahme von Inhalten und Transfer der vermittelten digitalen Kompetenzen)
  • die Bedingungen für eine langfristige Anwendung (wahrgenommene Wirksamkeit und Übereinstimmung mit bekannten Praktiken, Zeit zwischen Weiterbildung und Umsetzung)
  • die Eigenschaften der Schülerinnen und Schüler (Alter, Klassenstufe, Technologienutzung, Stereotype, Spezialisierung)
  • die Lernergebnisse der Schülerinnen und Schüler (Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen).

Dieses Bewertungsmodell wurde in der ersten Rolloutphase von März 2021 bis Dezember 2022 durch die Entwicklung von computergestützten und statistischen Tools zur Datenerhebung und -visualisierung, die eine Skalierung ermöglichen, systematisch eingeführt. Obwohl die schülerbezogenen Messungen im Rahmen des EduNum-Projekts nicht durchgeführt werden konnten, haben die anderen Indikatoren den TTT geholfen, die Stärken und Schwächen ihrer Weiterbildungen besser zu verstehen und sich dementsprechend anzupassen. Die erzielten Ergebnisse haben unter anderem Folgendes bewirkt:

  • die Legitimation ihrer Rolle als Ausbildende, die durch die Resultate greifbar wurde. Tatsächlich erzielten die TTT höhere Punktzahlen als die bisherigen Ausbildenden, die kein Monitoring ihrer Ausbildung erhalten hatten.
  • die Anpassung des Contents an die tatsächlichen, in den Umfragen genannten Bedürfnisse; gegebenenfalls die Forderung nach organisatorischen Verbesserungen. Aus den Ergebnissen geht hervor, dass nur 24% der Lehrkräfte angaben, genügend Zeit zum Testen der Ressourcen vor der Anwendung mit ihren Schülerinnen und Schülern gehabt zu haben (interner Bericht, EPFL).

Anhand der Ergebnisse konnten den Weiterbildungsteilnehmerinnen und ‑teilnehmern schliesslich die relevanten Erkenntnisse kommuniziert werden: um die Änderungen und die Berücksichtigung des Feedbacks von einer Einheit zur nächsten aufzuzeigen und um die Einführung neuer Inhalte zu unterstützen. Die Evaluationskultur hat jedoch auch ihre Tücken, auf die wir vorrangig reagieren mussten: Denn wenn die Ergebnisse nur wenige Minuten nach dem Ende eines langen Weiterbildungstages gelesen werden, kann es grosse emotionale Überraschungen mit sich bringen, wenn die Ergebnisse nicht mit dem allgemeinen Empfinden übereinstimmen oder wenn negative Kommentare das Erfolgserlebnis der Ausbildenden schmälern. Die Begleitung durch das Forschungsteam an allen Tagen, dessen Erreichbarkeit und Reaktionsfähigkeit wurden weitgehend geschätzt. Dies zeigt umso mehr die Notwendigkeit der offenen Zusammenarbeit und Nähe zwischen Forschung und Praxis.

Interaktion Forschung-Praxis für ein erfolgreiches Projekt  

Während der verschiedenen Phasen in den zwei Jahren, in denen Wissen und Know-how weitergegeben wurden, gab es zahlreiche Interaktionen, und die Rolle der bisherigen Ausbildenden war entscheidend. Neben den quantitativen Aspekten haben die Forscherinnen und Forscher auch qualitative Daten gesammelt, aus denen sich ergibt, welche Punkte für eine erfolgreiche Entwicklung von Ausbildenden zu TTT wesentlich sind:

  • optimale Weitergabe der Ressourcen in wöchentlichen Weiterbildungseinheiten, Anpassungen und Überarbeitungen je nach festgestelltem Bedarf
  • Beobachtung, persönliche Gespräche und Begleitung der Rollout-Einheiten durch die Ausbildenden
  •  im ersten Jahr: Führung eines Logbuchs durch die TTT, um ihre Eindrücke, Motivationen, Bedürfnisse und Erfahrungen festzuhalten
  • Planung von Austausch- und Auswertungszeiten, damit die TTT ihre Analysefähigkeiten entwickeln und mögliche Alternativen erwägen können
  • Festlegung des Rahmens für notwendige Anpassungen in den Weiterbildungen entsprechend dem Publikum und den verschiedenen Planungsphasen.

Anhand von Gruppeninterviews, die von den Forscherinnen und Forschern organisiert wurden und mithilfe der Logbücher konnten die neuen TTT auch ihre Wahrnehmung der Vorteile und Belastungen, die mit dieser neuen beruflichen Herausforderung verbunden sind, zum Ausdruck bringen. Dieser Austausch hat dazu beigetragen, dass die vorhandene Literatur zu den verschiedenen Punkten, die bei der Einführung eines Kaskadenmodells zu beachten sind, ergänzt werden konnte. Die Interviews machen deutlich, dass die Planung eine entscheidende Rolle spielt und sowohl inhaltliche als auch logistische Aspekte umfassen muss. In einem so innovativen und aufstrebenden Bereich müssen die Inhalte schnell anpassbar sein, um der Realität vor Ort zu entsprechen, und gleichzeitig müssen sie mit den für das Projekt entwickelten Kompetenzrahmen konform sein. Was die Logistik betrifft, so muss der Bedarf an technischem Material für Gruppen von überschaubarer Grösse abgedeckt werden. Ausserdem müssen die TTT genügend Zeit haben, um das Material und die Inhalte zu testen und zu verinnerlichen. Für den Einsatz als TTT sollten im Vorfeld Personen ausgewählt werden, die sich für das Projekt engagieren, sich schnell anpassen können und über Erfahrung in der Praxis verfügen. Die Weiterbildung, die die TTT erhalten, sollte darauf abzielen, dass sie sowohl fachlich als auch pädagogisch kompetent agieren, ihre Weiterbildung selbstständig organisieren können und durch Feedback bzw. Hospitationen in ständigem Kontakt mit ihren Ausbilderinnen und Ausbildern stehen (Monnier et al., 2023).

Fazit 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die im Zuge des EduNum-Projekts etablierte partnerschaftliche Zusammenarbeit sowohl von den Akteuren aus der Forschung als auch von jenen aus der Praxis als vorteilhaft empfunden wurde. Konkret berichten die Forscherinnen und Forscher, dass sie durch die Kooperation die Wirksamkeit der getesteten Methode anhand von quantitativem und qualitativem Feedback besser verstehen konnten. Auf Seite der Lehrpersonen haben einige ihren Blick auf die Forschung geändert, sich an der direkten Weitergabe der Ergebnisse beteiligt oder sich sogar freiwillig für weitere partnerschaftliche Forschungs-/Praxis-Projekte gemeldet (El-Hamamsy et al., 2022). Die Zusammenarbeit war intensiv, mit häufigem und regelmässigem Austausch, der notwendig ist, damit eine solche Partnerschaft zwischen Forschung und Praxis für die Beteiligten einen Mehrwert erbringen kann. Durch den Einbezug der bisherigen Ausbildenden in die Nachbereitung und Analyse der Ergebnisse gewinnt diese Methode zusätzlich an Wert. Mehrere Faktoren waren ausschlaggebend und bilden die Grundlage für weitere gemeinsame Weiterbildungsprojekte zwischen Forschung und Praxis.

  • Gegenseitiges Interesse und Kenntnis der Forschungsgegenstände und der praktischen Arbeit: Die Forschenden konnten aus nächster Nähe an den Weiterbildungen teilnehmen, um reale Weiterbildungseinheiten vor Ort zu erleben und die Bedürfnisse und Rückmeldungen der Teilnehmenden besser mitzubekommen und zu visualisieren.
  • Rollen und Verantwortlichkeiten sind definiert, komplementär und ausgewogen: Zu Beginn des Projekts und in regelmässigen Abständen vereinbaren die Beteiligten Aufgaben und Zuständigkeiten, wobei darauf geachtet wird, dass die Kompetenzen und Erfahrungen jedes und jeder Einzelnen berücksichtigt werden, dass sie einander sinnvoll ergänzen und dass die Akteure aus Forschung und Praxis in gleichem Masse aktiv sind.
  • Die Beteiligten bauen eine Beziehung auf, die auf Vertrauen und gegenseitigem Verständnis beruht. Zu Beginn einer Partnerschaft zwischen Forschung und Praxis kann es schwierig sein, einander zu verstehen, insbesondere wenn die Begriffe, die in der Praxis und im Forschungskontext verwendet werden, nicht übereinstimmen. Die an einer solchen Partnerschaft beteiligten Personen müssen über die Zeit und die Voraussetzungen verfügen, um eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Während des gesamten Projekts, aber vor allem zu Beginn, muss das gegenseitige Vertrauen aufgebaut werden. Um einen regelmässigen Austausch zu ermöglichen, müssen die Modalitäten der Zusammenarbeit festgelegt werden.
  • Mit dem Digital Training Companion5 steht ein benutzerfreundliches und verständliches Tool für die Datenerhebung und -analyse zur Verfügung. Damit können die Bildungseinrichtungen effektive Bewertungsmethoden einsetzen, Bereiche mit Verbesserungsbedarf rasch identifizieren und die Weiterbildungen entsprechend anpassen. Auf diese Weise wird die Lernerfahrung optimiert und die Ausbildenden bekommen die Möglichkeit, die Wirkung ihrer Weiterbildungsinhalte zu maximieren, was den Weg zu einer effektiveren und fundierteren Bewertung der beruflichen Entwicklung ebnet.
  • Die Forschungsaktivitäten sind zweckmässig und zielgerichtet und die Ergebnisse finden Berücksichtigung: In einer Partnerschaft zwischen Forschung und Praxis betreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Forschungsaktivitäten, die in erster Linie auf konkrete Fragen oder Probleme von Personen aus der Praxis ausgerichtet sind. Die Ergebnisse der angewandten Forschung dienen zur Orientierung für Massnahmen und Entscheidungen in der Praxis.

Das EduNum-Projekt war für das LEARN-Center eine Gelegenheit, die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis effektiv umzusetzen. Die Ergebnisse, die für das Projekt verwertet werden konnten, und die Zustimmung der verschiedenen Beteiligten auf allen Ebenen verdeutlichen den Nutzen der Forschung-Praxis-Partnerschaft. Diese Begegnung zwischen Forschung und Weiterbildung ist sowohl für das Ansehen der Forschung und ihre Umsetzung in der Praxis förderlich als auch für einen erfolgreichen Wissenstransfer zugunsten der Aus- und Weiterbildung und der involvierten Zielgruppen.

  1. https://www.epfl.ch/education/educational-initiatives/fr/center-learn/education-numerique-le-projet-edunum/ (abgerufen am 21.09.2023)
  2. https://www.epfl.ch/education/educational-initiatives/fr/center-learn/education-numerique-le-projet-edunum/la-recherche/modele-devaluation-edunum/le-digital-training-companion/
  3. https://www.epfl.ch/education/educational-initiatives/fr/un-modele-en-cascade/ (abgerufen am 21.09.2023)  
  4. https://go.epfl.ch/evaluation_model_EduNum (abgerufen am 21.09.2023) 
  5. Die Plattform Digital Training Companion, die sich derzeit in der Entwicklung befindet, vereint und verbessert diese Werkzeuge und soll auch Bildungseinrichtungen ohne datenwissenschaftliches Fachwissen dabei unterstützen, eine gründliche Bewertung ihrer Weiterbildungen durchzuführen. Zu diesem Zweck integriert die Plattform Kompetenzrahmen (DigCompEdu, ESCO), die die Erstellung von zertifizierten Bewertungen erleichtern. Schliesslich bietet sie die Möglichkeit, die gesammelten Daten in Echtzeit zu visualisieren, sodass schnell erkennbar ist, wo die Stärken liegen und wo Anpassungen vorgenommen werden müssen.

Literatur

Avry, S., Monnier, E.-C., El-Hamamsy, L., Caneva, C., & Dehler Zufferey, J. (2023): Monitoring Teacher Training in Digital Education: A Revised Model. [Manuscript submitted for publication]. LEARN, EPFL.

Coburn, C. E., & Penuel, W. R. (2016): Research Practice Partnerships in Education: Outcomes, Dynamics, and Open Questions. Educational Researcher 45, 1 (Jan. 2016), 48ś54. doi.org/10.3102/0013189X16631750 Publisher: American Educational Research Association.

El-Hamamsy, L., Chessel-Lazzarotto, F., Bruno, B., Roy, D., … Mondada, F. (2021): A computer science and robotics integration model for primary school: evaluation of a large-scale in-service K-4 teacher-training program. Education and Information Technologies,  16, 2445–2475. https://doi.org/10.1007/s10639-020-10355-5

El-Hamamsy, L., Bruno, B., Kovacs, H., Chevalier, M., Dehler Zufferey, J., & Mondada, F. (2022): A case for co-construction with teachers in curricular reform: Introducing computer science in primary school. In: Proceedings of the 24th Australasian Computing Education Conference (ACE ’22). Association for Computing Machinery, New York, NY, USA, 56–65. https://doi.org/10.1145/3511861.3511883.

El-Hamamsy, L., Monnier, E.-C., Avry, S., Chessel-Lazzarotto, F., Liégeois, G., Bruno, B., Dehler Zufferey, J., & Mondada, F. (2023): An Adapted Cascade Model to Scale Primary School Digital Education Curricular Reforms and Teacher Professional Development Programs. arXiv preprint arXiv:2306.02751.

Guskey, T. R. (2016): Gauge impact with 5 levels of data. SMEC2016 Organising Committee, 6.

Monnier, E.-C., Avry, S., El-Hamamsy, L., Pulfrey, C., Caneva, C., Mondada, F., & Dehler Zufferey, J. (2023): From teacher to teacher-trainer: A qualitative study exploring factors contributing to a successful train-the-trainer digital education program, Social Sciences & Humanities Open, Volume 8, Issue 1. https://doi.org/10.1016/j.ssaho.2023.100518.